Cultured Meat: „Immerhin ist es Fleisch.“

Alle Menschen zu ernähren, wird immer schwieriger. Daher wird an neuen Lebensmitteln geforscht. LBBW-Experte Kai Mönnekes erklärt, was künftig auf den Tisch kommt.

Zwei Personen mit Laborkittel braten Fleisch an

LBBW Standpunkt: In den Regalen der Supermärkte findet sich immer mehr Veganes und Lactosefreies, Herr Mönnekes, und die Bioabteilungen wachsen. Braucht es demnächst auch Regale für Labor-Food?

Kai Mönnekes: Sie meinen Cultured Meat. Das ist aus Stammzellen der Tiere im Bioreaktor hergestelltes Fleisch.

LBBW Standpunkt: Na lecker. Wer macht sowas – und warum?

Mönnekes: Wir müssen das in einem weltweiten Zusammenhang sehen. Der Bedarf an tierischem Eiweiß steigt seit Jahren deutlich an. Die Folge ist: Wir benötigen immer mehr Ackerflächen für die Viehhaltung, um Steaks und Burger auf unsere Teller zu bekommen. Allein in Europa nutzen wir mittlerweile 40 Prozent der Ackerfläche für die Herstellung von Tierfutter. Aktuelle globale Studien belegen, dass wir derzeit knapp die Hälfte aller Agrarflächen für die Futtermittelproduktion benutzen und nur noch ein Drittel für die Lebensmittelherstellung. Tendenz: weiter steigend. Das heißt, dass irgendwann ein natürliches Ende erreicht sein wird. Nämlich dann, wenn es keine weiteren Agrarflächen mehr gibt.

40 %

der Ackerfläche in Europa wird für die Herstellung von Tierfutter genutzt.

LBBW Standpunkt: Anstelle von Erbsen, Gerste und Roggen, bauen die Bauern lieber Futtermais an?

Mönnekes: Das diktiert der Verbraucher, also wir den Bauern. Wenn wir jeden Tag Fleisch auf dem Tisch haben wollen, setzt die Landwirtschaft auf Futtermittel und Viehproduktion. Laut Zahlen der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) benötigen wir derzeit 1,5 Milliarden Rinder, etwa eine Milliarde Schweine, fast 2,5 Milliarden Schafe und Ziegen sowie 30 Milliarden Geflügel, um die Weltbevölkerung satt zu bekommen. Und das jedes Jahr. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, benötigt es sieben Kilo getrocknetes Getreide – nur um Ihnen mal den Aufwand zu beschreiben.

LBBW Standpunkt: Widerspricht das nicht dem Trend hin zu gesunder Ernährung? Bio und am besten aus der Region? Vegetarier? Veganismus?

Mönnekes: Diesen Trend gibt es auch nach wie vor. Aber wenn sich in Europa und den USA einige Menschen vom Fleischverzehr abwenden, tangiert das noch nicht die globale Produktion. Deshalb wird jetzt an vielen Stellen auf der Welt am Thema Cultured Meat gearbeitet.

LBBW Standpunkt: Was wird bei Cultured Meat genau gemacht?

Mönnekes: Dem tragenden Muttertier werden Stammzellen aus dem noch ungeborenen Küken, Kalb, Frischling und so weiter entnommen. Dann werden diese im Labor weitergezüchtet. Das sind Start-ups, an denen sich viele andere Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Zweigen der Lebensmittelproduktion beteiligt haben.

LBBW Standpunkt: Und am Ende der Produktion steht Fleisch, das allerdings nicht auf der Weide gewachsen ist?

Mönnekes: Genau. Aber immerhin ist es Fleisch, bei „Beyond Meat" zum Beispiel sieht der Burgerpatty ja nur aus wie ein Fleischburger, ist aber kein Fleisch.

Kai Mönnekes, Sektorexperte für Food and Retail

Wir werden unsere Gewohnheiten ändern müssen – auch beim Verzehr von Fleisch.

Kai Mönnekes, Sektorexperte für Food and Retail bei der LBBW

LBBW Standpunkt: Was genau macht man dann mit dem Laborfleisch? In eine Schnitzelform pressen?

Mönnekes: Heutige Anwendungsideen gehen eher vom Beimischen in unsere Mahlzeiten aus, um den Bedarf an tierischem Eiweiß zu decken. Noch gibt es weltweit nur eine einzige Zulassung für Cultured Meat – in Singapur. Grundsätzlich gilt auch für Cultured Meat, wie bei vielen anderen Gewohnheiten: Wir werden nicht umhinkommen, umzudenken. Wir werden Dinge künftig anders tun, als wir es bislang gekannt haben.

LBBW Standpunkt: Will heißen?

Mönnekes: Cultured Meat ist ja nur ein Forschungsfeld für die Zukunftsernährung. Viele Insekten sind ebenfalls hervorragende Eiweißspender und gehören in vielen Regionen der Welt traditionell auf den Speiseplan.

Unser Ekel vor Insekten ist kulturell geprägt. Ein Inder würde auch kein Rind essen.

Kai Mönnekes, Sektorexperte für Food and Retail bei der LBBW
Laechelnder Geschaeftsmann mit Tablet am Fenster

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LBBW Standpunkt: Viele Menschen würden wohl lieber auf Fleisch verzichten als Mehlwürmer, Grillen oder Seidenraupen zu essen. „Insekten-Pasta“ und „Dschungelade“ klingen nicht unbedingt appetitlich ...

Mönnekes: Für rund zwei Milliarden Menschen stehen derzeit regelmäßig Insekten auf dem Menü. Unser Ekel davor ist kulturell und geschichtlich geprägt. Ein Inder würde auch kein Rind essen. So hat jede Region der Welt ihre speziellen Gewohnheiten. Untersuchungen zeigen, dass gerade wir Deutschen uns eher auf das Thema Cultured Meat einlassen würden als auf Insekten auf dem Speiseplan. Generell ist aber ein „Weniger“ wahrscheinlich der Königsweg. Einmal in der Woche echtes Fleisch, den Rest unseres Bedarfs decken wir aus der Beimischung ab.

LBBW Standpunkt: Wer ist Treiber dieser Entwicklungen?

Mönnekes: Es gibt eine ganze Reihe von treibenden Kräften. Wir Konsumenten haben plötzlich das Tierwohl auf unserer Agenda und lehnen Massentierhaltung und eine industrielle Lebensmittelproduktion mehr und mehr ab. Cultured Meat entsteht zwar auch in industrieller Produktion, die Aufzucht in reinen Bio-Reaktoren macht jedoch nach dem aktuellen Stand der Entwicklung den Einsatz von Zusätzen wie Medikamenten oder Antibiotika überflüssig. Die Landwirtschaft würde viel lieber hochpreisige Lebensmittel wie Gemüse oder Getreide als billige Futtermittel anbauen. Und für die Fleischindustrie kann es eine attraktive Alternative sein, um den weltweiten Bedarf zu decken.

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Kai Mönnekes, Sektorexperte für Food and Retail

Kai Mönnekes

Sektorexperte Food and Retail