26.03.2024

Steht die Bran­che vor dem teu­ers­ten Ver­si­che­rungs­scha­den ihrer Ge­schich­te?

Pres­se­mit­tei­lung

Der Ver­si­che­rungs­bran­che könn­te in naher Zu­kunft der teu­ers­te Ver­si­che­rungs­scha­den ihrer Ge­schich­te dro­hen. Nach An­sicht des LBBW Re­se­arch be­steht das Ri­si­ko, dass Schadenersatz-​Forderungen wegen ex­trem lang­le­bi­ger per- und po­ly­fluo­rier­ter Che­mi­ka­li­en (PFAS) zu einer grö­ße­ren fi­nan­zi­el­len Be­las­tung als der welt­wei­te Asbest-​Skandal Mitte des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts wer­den könn­ten. In­ves­to­ren soll­ten das Thema im Auge be­hal­ten.

Seit den Fünf­zi­ger­jah­ren er­freu­en sich die Kunst­stof­fe die­ser Grup­pe in der In­dus­trie gro­ßer Be­liebt­heit. Fluor-​Polymere sind wasser-​, fett- und schmutz-​abweisend sowie che­misch und ther­misch sehr sta­bil und wer­den in zahl­rei­chen Pro­duk­ten wie Kos­me­ti­ka, Koch­ge­schirr, Pa­pier­be­schich­tun­gen, Tex­ti­li­en oder Auto- und Ski-​Wachsen ein­ge­setzt. Auf­grund ihrer Wi­der­stands­fä­hig­keit wer­den PFAS von Fach­leu­ten als Ewig­keits­che­mi­ka­li­en be­zeich­net – mit ent­spre­chen­den Pro­ble­men bei deren Ent­sor­gung. Zudem ste­hen Teile der PFAS im Ver­dacht, eine Viel­zahl von schwe­ren oder gar töd­li­chen Krank­hei­ten zu ver­ur­sa­chen. Die Ei­gen­schaf­ten der ins­ge­samt mehr als 12.000 Va­ri­an­ten um­fas­sen­den Stoff­klas­se un­ter­schei­den sich dabei zum Teil er­heb­lich – wobei ei­ni­ge der Ver­bin­dun­gen in vie­len In­dus­trie­bran­chen als un­ver­zicht­bar gel­ten.

Be­son­ders US-​amerikanische Un­ter­neh­men könn­ten in Re­gress ge­nom­men wer­den, ver­mu­tet Ver­si­che­rungs­ana­lyst Wer­ner Schir­mer. In­wie­fern eu­ro­päi­sche Ver­si­che­rer durch mög­li­che PFAS-​Forderungen be­trof­fen sein könn­ten, lässt sich der­zeit kaum vor­her­sa­gen. Ten­den­zi­ell dürf­te aber das Ri­si­ko mit einem hohen Prä­mi­en­an­teil des US-​Geschäfts und einem gro­ßen An­teil der Schaden-​ und Unfall-​Versicherungssparten stei­gen. Zudem dürf­ten Rück­ver­si­che­rer stär­ker be­las­tet sein als Erst­ver­si­che­rer.

Die ge­naue Höhe der volks­wirt­schaft­li­chen Schä­den durch PFAS lässt sich ak­tu­ell nur äu­ßerst un­ge­nau ab­schät­zen. Zu wenig wird das Thema bis­lang wis­sen­schaft­lich be­leuch­tet. Die schwe­di­sche Um­welt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Chem­Sec be­zif­fert die ge­samt­wirt­schaft­li­chen Fol­gen aus Umwelt-​ und Ge­sund­heits­schä­den für die Welt­be­völ­ke­rung bis 2050 mit 141 Bil­lio­nen US-​Dollar (gut 130 Bil­lio­nen Euro). Dabei seien die Kos­ten für das Be­sei­ti­gen der bis­he­ri­gen PFAS-​Verschmutzung je­doch eben­so­we­nig be­rück­sich­tigt wie die ver­rin­ger­te durch­schnitt­li­che Le­bens­er­war­tung, der Wert­ver­lust be­trof­fe­ner Grund­stü­cke oder die Aus­wir­kun­gen auf die Tier­welt, schränkt der Ana­lyst die Aus­sa­ge­kraft ein.

Ent­spre­chend breit ist bis­lang auch noch die Schät­zung der Ge­sund­heits­kos­ten. Der Nor­di­sche Mi­nis­ter­rat der skan­di­na­vi­schen Län­der pro­gnos­ti­zier­te 2019 die Be­las­tun­gen für den Eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­raum (EWR) mit 52 Mil­li­ar­den bis 84 Mil­li­ar­den Euro. Den größ­ten Teil davon müs­sen die So­zi­al­ver­si­che­rungs¬sys­te­me tra­gen. Über Leben-​, Kranken-​ und Be­rufs­un­fä­hig­keits­po­li­cen ist aber auch die pri­va­te Ver­si­che­rungs­wirt­schaft be­trof­fen.

Noch be­deu­tend teu­rer dürf­ten es für Industrie-​ und Rück­ver­si­che­rer mit US-​Geschäft wer­den, sagt der Ana­lyst vor­aus. Er ver­weist be­son­ders auf Haftpflicht-​Versicherungen für Fir­men sowie die Spar­ten Ar­beits­un­fall („Wor­k­ers Com­pen­sa­ti­on“), Produktrückruf-​ und Management-​Haftpflicht (D&O). „Das Ri­si­ko, dass PFAS hö­he­re Ver­si­che­rungs­schä­den ver­ur­sacht als Asbest, scheint nicht un­er­heb­lich zu sein. In den USA haben seit den Asbest-​Fällen al­ler­dings ei­ni­ge Ver­si­che­rer Aus­schluss­klau­seln für Um­welt­ver­schmut­zung in ihrer Fir­men­haft­pflicht“, ur­teilt Schir­mer. Auch dies er­schwe­re ge­naue Pro­gno­sen.

Neben Standard-​Firmenhaftpflichtpolicen könn­ten zudem Produkt-​ und Um­welt­haft­pflicht­po­li­cen zur De­ckung von Personen-​ und Sach­schä­den oder De­kon­ta­mi­na­ti­ons­kos­ten her­an­ge­zo­gen wer­den. Diese Po­li­cen wer­den in den USA seit Jahr­zehn­ten an­ge­bo­ten, teil­wei­se mit Aus­schluss­klau­seln.

Der Ex­per­te ver­mu­tet, dass sich die Kla­gen von End­nut­zern und Ver­brau­chern zum Haupt­schau­platz im Kampf um Ent­schä­di­gun­gen ent­wi­ckeln: „Mög­li­cher­wei­se wer­den kla­gen­de Per­so­nen dabei Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen er­strei­ten, ohne dass sie bis dato kon­kre­te Ge­sund­heits­schä­den er­lit­ten haben – wie dies bei Asbest-​Fällen ge­schah. Auch an­de­re Aus­wüch­se im US-​Haftpflichtsystem kön­nen nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, wie die über­durch­schnitt­li­che Stei­ge­rung von Scha­dens­er­satz­zah­lun­gen.“

Ge­gen­wär­tig be­fin­det sich die Ver­si­che­rungs­bran­che noch in der Früh­pha­se der ge­richt­li­chen Auf­ar­bei­tung. Je­doch meh­ren sich seit Jah­ren die Fälle, in denen Ver­si­che­rer wegen der De­ckung PFAS-​bedingter Schä­den ver­klagt wer­den. Spek­ta­ku­lär wurde 3M in den USA Mitte 2023 dazu ver­ur­teilt, mehr als 10 Mil­li­ar­den Dol­lar für die jahr­zehn­te­lan­ge Was­ser­ver­un­rei­ni­gung durch PFAS-​belastete Feu­er­lösch­schäu­me zu zah­len. Der Ver­si­che­rungs­dienst­leis­ter Pra­edi­cat kal­ku­liert für ent­spre­chen­de Ver­brau­cher­kla­gen in den USA im Ex­trem­fall mit Ent­schä­di­gun­gen in drei­stel­li­ger Mil­li­ar­den­hö­he.

„Die Pro­gno­sen mögen zwar mit enor­mer Un­si­cher­heit be­haf­tet sein. Das Ri­si­ko, dass PFAS hö­he­re Ver­si­che­rungs­schä­den ver­ur­sacht als Asbest, scheint je­doch nicht un­er­heb­lich zu sein“, ur­teilt Schir­mer. Er ver­mu­tet, dass zu­künf­tig auch kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­sche Ver­si­che­rer in ihren Firmenhaftpflicht-​Verträgen PFAS mög­lichst aus­schlie­ßen dürf­ten, wie dies in den USA in­zwi­schen ver­brei­tet sei.

In Eu­ro­pa wur­den bis­lang nur we­ni­ge Kla­gen wegen PFAS-​Schäden er­ho­ben und le­dig­lich ein grö­ße­rer Fall en­de­te mit Scha­den­er­satz­zah­lun­gen. 2022 schloss der US-​Konzern 3M einen Ver­gleich in Höhe von 571 Mil­lio­nen Euro wegen der Kon­ta­mi­na­ti­on durch eines sei­ner Werke in Bel­gi­en. Der Ver­gleich um­fass­te die Sa­nie­rungs­kos­ten, aber nicht die noch aus­ste­hen­de Ent­schä­di­gung der An­woh­ner.

Nicht nur für die bel­gi­schen Ver­si­che­rer gilt dabei, dass ein PFAS-​Deckungsausschluss in pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rungs­po­li­cen prak­tisch un­mög­lich und in Fir­men­haft­pflicht­ver­trä­gen nur schwer um­setz­bar ist, ur­teilt Schir­mer. Mit einer weit­grei­fen­den Än­de­rung der Ver­trags­ge­stal­tung rech­net er erst, wenn die EU-​Kommission ihr an­ge­kün­dig­tes Ver­bot zahl­rei­cher Kunst­stof­fe um­setzt oder eine schwe­re Krank­heit ein­deu­tig auf den Kon­takt mit die­ser Stoff­grup­pe zu­rück­ge­führt wer­den kann.

„Das Feh­len einer ‚Smo­king Gun‘ un­ter­schei­det PFAS bis­lang von Asbest, wo mit Me­so­the­lio­ma als ‚si­gna­to­ry de­sea­se‘ eine cha­rak­te­ris­ti­sche und in der Regel in­ner­halb von ein bis zwei Jah­ren töd­li­che Krank­heit ent­deckt wurde“, er­klärt der Ver­si­che­rungs­ana­lyst: „Den­noch soll­ten In­ves­to­ren ent­spre­chen­de Fort­schrit­te der me­di­zi­ni­schen For­schung nicht nur mit Blick auf die Bran­chen Che­mie und In­dus­trie, son­dern auch im Hin­blick auf Ver­si­che­rer ar­gus­äu­gig be­ob­ach­ten.“

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