Emissionshandel in der Industrie: Entlastung durch Gratiszertifikate
Die Industrie braucht Energie. Wenn Unternehmen energieintensive Anlagen betreiben, müssen sie daher am Emissionshandel teilnehmen – zugleich werden sie entlastet.
Die Europäische Union will den Ausstoß an Treibhausgasen europaweit bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent senken. Zentrales Element des „Fit for 55“-Maßnahmenpakets ist der Handel mit CO₂-Zertifikaten. Hier wird vor allem – neben den Energieerzeugern und dem Mittelstand – die Industrie eingebunden. Ob Raffinerie oder Hochofen, Schmelz- oder Sinteranlage, Gießerei oder Walzwerk: Wer eine energieintensive Industrieanlage betreibt, ist verpflichtet, am Emissionshandel der Europäischen Union (EU ETS) teilzunehmen. Betroffen sind vor allem die Branchen:
- Eisen- und Stahlindustrie
- chemische Industrie
- Rohölverarbeitung
- Zement-, Kalk-, Gips- und Mineralfaserherstellung
- Glas-, Keramik- und Ziegelindustrie
- Papier- und Zellstoffproduktion
Stahlbranche mit höchsten Emissionen
Anteile der Branchen an den CO₂-Äquivalenten des Sektors Industrie 2020 in %
Grundsätzlich fallen alle Kraft- und Heizkraftwerke unter die Regeln des Emissionshandels, in denen Strom und/oder Wärme aus fossilen Energien erzeugt werden und deren Feuerungswärmeleistung mehr als 20 Megawatt betragen. Unerheblich ist dabei, ob das Unternehmen für den Eigenverbrauch produziert oder andere versorgt.
Kostenlose Zuteilung von CO₂-Zertifikaten
Die Unternehmen müssen für jede Tonne Kohlendioxid, die ihre Produktionsanlagen und Kraftwerke ausstoßen, mit einem CO₂-Zertifikat „bezahlen“. Als Standardmodell sieht der EU ETS vor, dass Emittenten die CO2-Zertifikate zuvor kaufen. Das passiert entweder über eine Auktion oder aber im Handel mit anderen Unternehmen, die weniger Emissionsrechte benötigen, als sie zur Verfügung haben – etwa weil sie in Klimaschutzmaßnahmen investiert haben.
Allerdings stehen viele europäische Industriebetriebe im Wettbewerb mit Unternehmen aus Staaten, die eine weniger ambitionierte Klimapolitik betreiben. Daher werden sie entlastet: Sie erhalten für Emissionen ihrer Produktionsanlagen unter bestimmten Bedingungen kostenlose CO2-Zertifikate. Auf diese Weise will die EU verhindern, dass europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb benachteiligt werden. Dahinter steht die Sorge, dass sie ihre Produktion in Länder mit niedrigeren Klimaschutzstandards verlagern könnten („Carbon Leakage“).
Zuteilung bemisst sich nach Effizienz-Benchmark
Voraussetzung für die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten ist, dass die Unternehmen einer Branche oder einem Sektor zugehören, die auf der sogenannten Carbon-Leakage-Liste der EU geführt sind. Bei ihnen ist also das Risiko für eine Verlagerung der Produktion besonders groß.
Die Menge der gratis zugeteilten Klimazertifikate bemisst sich nach Effizienz-Benchmarks: Die Unternehmen erhalten so viele kostenlose Zertifikate wie die branchenweit effizientesten Anlagen ihrer Art für das jeweilige Produktionsvolumen brauchen. Das gibt ihnen einen Anreiz, in klimafreundlichere Technologien zu investieren. Die darüber hinaus benötigte Menge an CO₂-Zertifikaten müssen sie zukaufen. Die Benchmarks werden jährlich verschärft.
Doch auch wer nicht die Kriterien der Carbon-Leakage-Liste erfüllt, bekommt Unterstützung von der EU: Für alle anderen Anlagen erhalten Industrieunternehmen immerhin 30 Prozent kostenlose Umweltzertifikate. Auch hier bemisst sich die zugeteilte Menge nach Effizienz-Benchmarks. Diese Regelung ist nach dem Beschluss des EU-Parlaments bis Ende 2026 befristet; anschließend sinkt die gratis zugeteilte Menge bis 2032 auf 0 Prozent ab.
CO₂-Abgabe auf Importe in die EU geplant
Mit der geplanten Reform des EU ETS will die Europäische Union den Schutz der im globalen Wettbewerb stehenden Industrieunternehmen neu konzipieren: Die Gratiszuteilung soll mittel- bis langfristig durch eine Art CO₂-Zoll ersetzt werden (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM).
Das CBAM-Konzept sieht vor, dass Einfuhren in die EU mit einer CO₂-Abgabe belegt werden, wenn sie aus Regionen kommen, in denen es kein vergleichbares Klimaschutzinstrument gibt. Tatsächlich gibt es ähnliche Regularien anderswo in der Welt: Staaten und Regionen wie China, Südkorea und einige Bundesstaaten der USA haben eigene Emissionshandelssysteme eingeführt. Unter bestimmten Bedingungen werden auch ausländische Unternehmen eingebunden, wenn sie dort eine Produktionsstätte haben. Allerdings sind die dortigen CO₂-Preise weit niedriger als in der EU.
ETS-Einnahmen speisen Förderprogramme
Erhalten Industriebetriebe ihre CO₂-Zertifikatsdaten nicht komplett kostenlos, fallen Kosten an. Im Gegenzug können sie Förderungen für Klimaschutzmaßnahmen in Anspruch nehmen, die aus den Einnahmen des ETS finanziert werden. So fließen etwa aus dem deutschen Energie- und Klimafonds (EKF) Mittel in zahlreiche Förderprogramme etwa für die Dekarbonisierung von Industriebetrieben, für Elektromobilität oder energetische Sanierungen. Auf europäischer Ebene können Unternehmen unter anderem Zuschüsse für Klimaschutzvorhaben aus dem EU-Innovationsfond beantragen.