Wissen, was morgen gefragt ist
Die Automobilbranche erlebt tiefgreifende Umbrüche. Derweil gestaltet der Mechatronik-Experte Marquardt seine ganz eigene Transformation.
Angst vor der E-Mobilität, wieso denn? Produkte anderer Autozulieferer werden so überflüssig wie Benzin, doch Marquardt produziert elektronische Autoschlüssel, Sitzversteller und Scheibenhebersysteme. Die werden weiterhin gebraucht. Warum also steckt der Mechatronik-Spezialist dennoch mitten in einer Transformation?
Weil Transformation mittlerweile der Normalzustand ist bei Marquardt. Das 1925 in Rietheim-Weilheim gegründete Familienunternehmen stellte anfangs Schalter für Staubsauger, Radios und Plattenspieler her. Kontakte zur Autobranche gibt es erst seit Ende der 1970er-Jahre. Heute sorgt die Automobilindustrie für 80 Prozent des Umsatzes von rund 1,3 Milliarden Euro. Aus „Schalter-Marquardt“ hat sich die Marquardt-Gruppe entwickelt, die weltweit rund 11.000 Menschen beschäftigt. Und die weiß, dass die Zukunft nicht mit den Erfolgsrezepten von gestern gewonnen wird. Deshalb: Transformation.
Marquardts finanzielle Transformation
Transformation ist für Marquardt mehr als neue Produkte. Es bedeutet auch, bei der Finanzierungsstruktur auf intelligente Lösungen zurückzugreifen. „Als eine der Hausbanken fungieren wir gern als Ideengeber“, sagt Claudius vom Bovert, Marquardts Kundenberater bei der LBBW. So war es 2016 ein wichtiger Schritt, unterstützt unter anderem von der LBBW, eine Schuldschein-Debüttransaktion und damit den Erstkontakt zu den Kapitalmärkten aufzunehmen. Heute hilft die LBBW beispielsweise, Verwahrentgelte – faktisch Negativzinsen – zu reduzieren.
Kreativität bei Finanzierungen gehört für mich zur Transformation dazu.
Im Bedarfsfall greift die LBBW auf klassische Finanzierungslösungen zurück, etwa als Marquardt sein Thüringer Werk mit LED-Leuchten nachhaltiger illuminieren wollte. Dafür gab es nicht nur zinssubventionierte Förderkredite der KfW, sondern überdies echte Tilgungszuschüsse – und die müssen nicht zurückgezahlt werden. LBBW-Kundenberater vom Bovert sagt: „Kreativität bei alternativen Finanzierungsstrukturen und flexiblen Anlageinstrumenten gehört für mich zur Transformation dazu.“
E-Mobilität als Chance genutzt
Im Zentrum der Transformation steht allerdings die E-Mobilität. Marquardt überträgt seine Schalter-Expertise auf Batteriemanagementsysteme, abgekürzt: BMS. Die Systeme lenken elektrische Ströme und sorgen so zum Beispiel für ein geregeltes Laden und Entladen der Akkus; das erhöht ihre Lebensdauer und optimiert ihre Reichweiten. Das BMS ist auch dafür zuständig, die Batterie bei Unfällen oder Defekten automatisch abzuschalten – gut für die Sicherheit. Und gut für den Umsatz: Die BMS-Erlöse haben sich allein im Krisenjahr 2020 mehr als verdoppelt und steuern heute bereits einen dreistelligen Millionenumsatz zum Gesamterfolg bei.
Wir denken und entwickeln bereits heute Trendthemen, die in zehn Jahren relevant sein werden.
Früh die Zeichen der Zeit zu erkennen, ist überlebenswichtig für Marquardt. „Bereits heute denken und entwickeln wir Trendthemen, die in fünf oder zehn Jahren relevant sein werden“, sagt Dr. Frank Stier, der den Bereich „Innovations“ leitet. Sichtbar wird das beim Marquardt DemoCar: Wer sich hineinsetzt, erlebt schon heute das „Cockpit der Zukunft“ mit funktionalen Lichtleisten und Touchscreens mit Fühlhilfen. Beim DemoCar geht es weniger um den Wow!-Effekt als um den Austausch, sagt Stier: „Was wird wirklich gebraucht, wo soll die Reise hingehen?“ Die Reaktionen von Otto Normalverbraucher sind dabei ebenso wichtig wie die Gespräche mit den Autobauern. Die sollen dann – vielleicht erst in ferner Zukunft – die Aufträge vergeben. An Marquardt.
Der Trend: alles aus einer Hand
Um die Kompetenzen für E-Mobilität zu bündeln, hat Marquardt im Februar 2021 „Power & Energy Solutions“ zu einem eigenen Geschäftsbereich veredelt. Schon vorher hat der Mechatronik-Experte ein neues Entwicklungszentrum im indischen Pune errichtet und am Stammsitz in Rietheim-Weilheim für mehr als 30 Millionen Euro ein Innovationszentrum gebaut. Der Neubau sei eine architektonische Antwort auf die großen Zukunftsthemen der Autobranche, sagte der Vorstandsvorsitzende und Enkel von einem der Gründer, Dr. Harald Marquardt, bei der Eröffnung, ganz gleich, „ob es um die digitale Vernetzung, die Aufwertung des Fahrzeuginnenraums oder um die Elektromobilität geht“.
Es geht um mehr als um den Abschied vom Benzin: Mobilität wird neu gedacht. Und bald umgesetzt. Marquardt arbeitet aktiv daran, die Zukunft ins Heute zu bringen