07.11.2024
Nach den US-Wahlen: „Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen“
Donald Trump wird wieder US-Präsident. Welche Folgen diese Wahl auf die deutschen Unternehmen haben wird, beleuchtet LBBW-Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer.
Standpunkt: Donald Trump hat die US-Wahlen gewonnen, und das recht deutlich. Ist das aus wirtschaftlicher Sicht eine gute oder schlechte Nachricht?
Moritz Kraemer: Die US-amerikanischen Unternehmen reagieren überwiegend positiv: Sie freuen sich an der Aussicht auf niedrigere Unternehmenssteuern und Deregulierung unter einem Präsidenten Trump. Zudem sollen sie ja durch steigende Importzölle vor der Konkurrenz aus Asien und Europa besser geschützt werden.
Standpunkt: Gut für die amerikanische Konjunktur, oder?
Moritz Kraemer: Zumindest im kommenden Jahr wird das US-Wirtschaftswachstum besser ausfallen als es unter einer Präsidentin Kamala Harris zu erwarten gewesen wäre. Bereits jetzt gibt es allerdings starke Zweifel, ob dieses Wachstum von Dauer sein wird. Denn parallel wird auch die Inflation ansteigen, davon gehen zumindest die meisten Marktteilnehmer aus. Schon vor der Wahl gingen am US-Rentenmarkt die Kurse aus Angst vor einem Wiederanziehen der Inflation und der anschwellenden Staatsverschuldung der USA nach unten. Am Wahltag selbst stiegen die Renditen langlaufender US-Staatsanleihen steil an. Sollte Donald Trump seine Fiskalpläne umsetzen, würde die Staatsverschuldung in der kommenden Dekade zusätzlich um etwa ein Viertel des US-Sozialprodukts ansteigen.
Donald Trump muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Ich erwarte, dass er in seiner zweiten Amtszeit grundsätzlich robuster agieren wird.
Standpunkt: Was bedeutet das „America First!“ von Donald Trump für die deutsche Wirtschaft?
Moritz Kraemer: Die USA weist ein starkes Handelsbilanzdefizit auf, anders als China und auch Deutschland. Tatsächlich ist Deutschland eine stark exportorientierte und auch -abhängige Nation: Fast die Hälfte unseres Sozialprodukts hängt von Exporten ab. Entsprechend viel steht für den Wirtschaftsstandort Deutschland auf dem Spiel, denn die USA ist das wichtigste Zielland für deutsche Exporte.
Standpunkt: Was wird Trump tun, um das Handelsbilanzdefizit der USA zu senken?
Moritz Kraemer: Er setzt auf Zölle. Wie hoch die ausfallen werden, wird man sehen. Vor der Wahl hat er manchmal von 10 Prozent Aufschlag durch Importzölle gesprochen, manchmal sogar von 20 Prozent. So oder so: Das wäre ein erheblicher Preisnachteil für unsere Waren aus Deutschland und ein harter Schlag für die Exportwirtschaft.
Standpunkt: Also auf nach Amerika, um hinter die Zollmauern zu kommen?
Moritz Kraemer: Genau mit diesem Gedanken beschäftigen sich derzeit viele deutsche Unternehmen. Der Impuls ist nachvollziehbar – und häufig strategisch wie betriebswirtschaftlich richtig. Für Deutschland als Volkswirtschaft heißt das allerdings: Das alles sind Investitionen, die hier nicht mehr stattfinden.
Standpunkt: Während die USA prosperiert …
Moritz Kraemer: So einfach ist es nicht. Die Zölle, die den US-Markt abschirmen sollen, erhöhen die Preise. Wenn jetzt millionenfach Migrantinnen und Migranten – wie angekündigt – abgeschoben werden, fehlen Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Also steigen die Lohnkosten und treiben ebenfalls die Inflation an.
Standpunkt: Noch ist es nicht so weit. Vor Wahlen wird gern versprochen, was sich anschließend doch nicht umsetzen lässt …
Moritz Kraemer: Da wäre ich mir gerade bei Donald Trump nicht so sicher: Seine zweite ist gemäß US-Verfassung zugleich seine letzte Amtszeit. Er muss also auf niemanden Rücksicht nehmen, um in vier Jahren wiedergewählt zu werden. Persönlich erwarte ich, dass er in seiner zweiten Amtszeit grundsätzlich robuster agieren wird. Ich gehe davon aus, dass Trump zumindest versuchen wird umzusetzen, was er sagt. Und für ihn ist wichtig, dass die Produktion wieder in den USA stattfindet. Wer Volkswirtschaft studiert, lernt im ersten Semester, dass internationaler Handel für alle Beteiligten wohlstandsmehrend ist. Trump sieht Handel dagegen als Nullsummenspiel und glaubt, dass die USA von den Überschussländern, also auch Deutschland, ausgebeutet wird.
Wir müssen jetzt ins Agieren kommen, sonst gerät Deutschland weiter ins Hintertreffen.
Standpunkt: Wie soll, wie kann die deutsche Wirtschaft auf den Präsidenten und damit den Kurswechsel reagieren?
Moritz Kraemer: Bis Anfang 2025, wenn Donald Trump offiziell als nächster US-Präsident ins Amt eingeführt wird, gilt noch eine Art Stillhalteabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union – und damit auch mit Deutschland. Danach wird man weitersehen. Die EU hat sich dem Vernehmen nach mit neuen Instrumenten und Verfahren vorbereitet, um zügig auf Provokationen aus Washington reagieren zu können. Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen.
Standpunkt: Sind wir denn überhaupt noch stark?
Moritz Kraemer: Ja, allerdings mit der Betonung auf „noch“. Die Welt um uns herum ändert sich, doch wir Deutschen ändern unseren Blick darauf nicht – bisher zumindest. Das muss sich ändern. Wir müssen ins Agieren kommen, sonst gerät Deutschland weiter ins Hintertreffen. Gleichwohl dürften als Folge der US-Wahl negative Folgen für die Exporte und die Investitionen innerhalb der EU unvermeidbar sein. Gerade für die krisengeplagte deutsche Wirtschaft sind das düstere Aussichten, denn selbst ein Rückfall in die Rezession ist jetzt wahrscheinlich. Anders gesagt: Die Rückkehr von Donald Trump ist wahrhaftig das Letzte, was die angeschlagene deutsche Wirtschaft jetzt braucht.