11.10.2024

Indien ist nicht das neue China

Das Potenzial ist riesig. Bildung muss aber erste Priorität werden.

Vergangenes Jahr hat Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Erde abgelöst. Seit Beginn der Zwanzigerjahre wächst die Wirtschaft dort schneller als die chinesische, und die Prognosen deuten darauf hin, dass das vorerst auch so bleiben wird. Das wirft natürlich die Frage auf, ob künftig Indien die wirtschaftliche Rolle einnehmen könnte, die bis zur Pandemie drei Jahrzehnte lang China wahrgenommen hatte: als der Wachstumspol der Welt, ein Füllhorn wirtschaftlicher Opportunitäten. Zumal die westliche Welt zunehmend besorgt auf China als immer schwerer berechenbaren Rivalen blickt.

Indiens junge Bevölkerung ist Delhis Trumpfkarte

Indiens Wirtschaft wird voraussichtlich auf lange Zeit schneller wachsen als die chinesische. Dafür spricht schon allein die sich verfestigende Wachstumsschwäche im Reich der Mitte. Überschuldete Unternehmen, oft in staatlicher Hand, eine hartnäckige Immobilienkrise und eine in Wirtschaftsfragen immer übergriffiger agierende Parteiführung: Diese Erschwernisse haben dem Drachen Fesseln angelegt. Indien profitiert zudem von seiner jüngeren Bevölkerung: China altert nach fast zwei Generationen Ein-Kind-Politik rasant. Dem Reich der Mitte gehen die Arbeitskräfte aus, während die Entwicklung der indischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter noch bis zur Jahrhundertmitte nur eine Richtung kennt: aufwärts.

China spielt in einer anderen Liga

Bei all dem darf aber eines nicht unter den Tisch fallen: Chinas Volkswirtschaft ist noch immer fünfmal größer als Indiens. Auch wenn der Subkontinent doppelt so schnell wächst wie China, ist der absolute Dollar-Betrag, mit dem China zulegt, immer noch mehr als doppelt so groß. Um aufzuschließen, würde Indien bis zur Jahrhundertmitte zweistellige Wachstumsraten benötigen. Daran mag glauben, wer will. Für Unternehmen bleibt China deshalb auf absehbare Zeit der wichtigere Markt.

Vorerst kein Wirtschaftswunder auf dem Subkontinent

Dennoch ist Indien ein Land voller Hoffnungen und Versprechungen. Und das liegt nicht nur an der Demografie. Daten der Weltbank zeigen, dass sich in der letzten Dekade auch die Qualität der wirtschaftlichen Regulierung und die Effektivität staatlichen Handelns erhöht haben. Das stimmt positiv.

Das chinesische Wirtschaftswunder wird Indien aber wohl nicht wiederholen können. Die wirtschaftlichen Reformen Chinas waren weitreichender als das, was sich der Subkontinent traut. Und Peking hatte auch Glück, denn seine Öffnungspolitik fiel in eine Zeit der Globalisierung. Heute dagegen bläst der Gegenwind des Protektionismus und geopolitischer Rivalitäten.

Vor allem aber wird das niedrige Bildungsniveau Indiens Aufstieg Grenzen weisen. Ein Viertel aller Inder sind noch immer Analphabeten. Da war China schon 1990 weiter. Und nur ein Drittel der Bevölkerung hat eine tertiäre Bildung genossen – der Anteil unter den Chinesen ist doppelt so hoch.

Es überrascht daher nicht, dass Indien lediglich 0,6 % des BIP für Forschung und Entwicklung aufwendet – Tendenz fallend. Ein Bruchteil dessen, was China in diesen Bereich investiert. Mit dem Handicap schwachen Humankapitals wird Indien nicht in chinesischem Tempo die technologische Leiter eine Stufe nach der anderen erklimmen können. Erst wenn es eine veritable Bildungsrevolution durchliefe – wie viele ostasiatische Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – könnte Lakshmi, die hinduistische Göttin des Wohlstands, mit einem entrückten Lächeln auf den Subkontinent blicken.

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