08.04.2024

Die Aktienrente kann das Rentenproblem nicht lösen

Das Generationenkapital soll die Rentenkassen entlasten. Gute Idee, sagt LBBW-Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer, allerdings zu spät und zu „schüchtern“ gedacht.

Rentnerpaar blickt auf eine Familie
Rentnerpaar blickt auf eine Familie

Standpunkt: Wenn zum 1. Juli die Rente um 4,57 Prozent erhöht wird, ist das eine Ausschüttung aus dem staatlichen Füllhorn oder ein verspäteter Inflationsausgleich?

Moritz Kraemer: Eher Letzteres, denn an der Rentenerhöhung hängt im Kern keine politische Entscheidung. Die Rentenhöhe wird nach einer Formel berechnet. Und da ist nun – auch aufgrund der steigenden Inflation – eine Erhöhung angebracht.

Standpunkt: Wobei steigende Renten die Beitragszahler noch stärker belasten. Ist das geplante Generationenkapital – die Aktienrente – ein sinnvoller Ansatz, um die Beitragszahler zu entlasten?

Moritz Kraemer: Das Generationenkapital soll das umlagefinanzierte deutsche Rentensystem entlasten. Vorerst bis 2036 werden jährlich 12 Milliarden Euro in einen Fonds eingezahlt, der diese Summe auf dem Kapitalmarkt investiert. Der Gedanke dahinter: Investitionen in Aktien werfen langfristig bessere Renditen ab als festverzinsliche Anlagen. Und das Generationenkapital ist auf das langfristige Sparen angelegt. Wenn die Regierung in den nächsten Jahren Bundesanleihen mit einem festen Zinssatz von 3 Prozent emittiert und mit dem Geld auf dem Kapitalmarkt 7 Prozent Rendite erwirtschaftet, können – vereinfacht gerechnet – 4 Prozent von der Aktienrente in die Taschen der Rentenkassen fließen.

12 Mrd. Euro

sollen bis 2036 jährlich in einen Fonds eingezahlt werden, der das Geld auf dem Kapitalmarkt investiert. Die Rendite daraus soll die Rentenkassen entlasten.

Standpunkt: Trotzdem klingen Sie nicht überzeugt …

Moritz Kraemer: Im Gegenteil, ich finde die Idee super. Mich ärgert, dass wir erst jetzt damit anfangen, auf die Rendite des Kapitalmarkts zu setzen. Und dass wir so klein denken. Deutschland muss jährlich rund 400 Milliarden Euro für Rentenzahlungen aufbringen, da machen 12 Milliarden Euro an Generationenkapital nicht einmal drei Prozent aus. In Wirklichkeit ist der Betrag ja noch geringer, denn in die Rentenkassen können ja nur die netto 4 Prozent an Rendite fließen. Da ist die Aktienrente nur eine homöopathische Beimischung.

Chefvolkswirt Dr. Moritz Kraemer

Wenn die Idee der Aktienrente so gut ist, warum denken wir dann so schüchtern? Warum fangen wir nicht mit 100 oder 200 Milliarden Euro an?

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW

Standpunkt: Wir sollten also schon jetzt verstärkt auf die Aktienrente setzen?

Moritz Kraemer: Schon jetzt nimmt die Quote der Rentnerinnen und Rentner gegenüber der arbeitsfähigen Bevölkerung ständig zu. Derzeit beträgt die Quote 35 zu 100, bis zum Jahr 2040 wird sie auf mehr als 50 zu 100 steigen. Das heißt: Zwei Beschäftigte müssen einen Rentner durchfüttern. Das ist mit gleichbleibenden Beiträgen zur Rentenversicherung realistischerweise nicht zu stemmen, das weiß auch die Bundesregierung. Um die Beiträge nicht erhöhen zu müssen, sollen die Renditen aus dem Generationenkapital eingesetzt werden. Das ist eine hübsche Idee, die allerdings viel zu klein dimensioniert ist …

Standpunkt: ... und mit der wir schon vor Jahr und Tag hätten anfangen können, um uns heute über die am Kapitalmarkt erwirtschafteten Renditen freuen zu können?

Moritz Kraemer: Schweden und Norwegen haben jahrzehntelange Erfahrung damit, Renditen für ihre Rentnerinnen und Rentner am Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Davon hätten wir uns schon vor langem einiges abgucken können. Schauen wir nur auf die Zeit vor wenigen Jahren zurück, als in Deutschland zehnjährige Staatsanleihen mit faktisch negativen Zinsen ausgegeben wurden. Hätten wir damals stattdessen an den Kapitalmärkten investiert, könnten wir uns heute über die erwirtschafteten Renditen freuen. Wir kommen einfach viel zu spät.

Standpunkt: Wenn wir uns auf das Positive konzentrieren: Ein Anfang ist gemacht. Später lässt sich immer noch nachbessern.

Moritz Kraemer: Das hoffe ich. Wenn ich es richtig aus Berlin höre, sind die 12 Milliarden Euro zum Auftakt ein politischer Kompromiss, um überhaupt starten zu können. Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt eine Menge Vorbehalte dagegen, die Rendite für Renten am Kapitalmarkt zu verdienen.

Standpunkt: Zählt dazu auch der Verweis auf die Schuldenbremse?

Moritz Kraemer: Die Schuldenbremse kann die Aktienrente nicht ausbremsen, weil ja nichts ausgegeben wird. Es wird ja im Gegenteil etwas angespart. Deshalb hätten wir auch gleich mit 200 Milliarden Euro anfangen können.

Um die Rentenkassen dauerhaft zu entlasten, gibt es nur einen erfolgversprechenden Ansatz: Mehr Menschen länger in Arbeit.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW

Standpunkt: Im Jahr 2036, so sieht es der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor, sollen erstmals Erträge aus der Aktienrente ausgeschüttet werden. Ist das ein guter Termin, um den Schalter von „vorsichtiger Versuch“ auf „jetzt aber richtig!“ umzulegen?

Moritz Kraemer: Warum zwölf Jahre warten? Wenn die Idee der Aktienrente so gut ist, warum denken wir dann so schüchtern? Warum fangen wir nicht mit 100 oder 200 Milliarden Euro an? Der Kapitalmarkt könnte das problemlos aufnehmen. Wir müssten uns ja nicht auf den DAX – schon um Klumpenrisiken zu vermeiden – oder auf EuroStoxx-Aktien beschränken, sondern können weltweit investieren.

Standpunkt: Ist es zu spät, um diese „Schüchternheit“ beim Investieren doch noch in diesem Jahr zu überwinden?

Moritz Kraemer: Wenn sich das Konzept des Generationenkapitals bewährt, entlastet es die Beitragszahler – und die sind Wähler. Das wird die Parteien schnell zum Nachdenken bringen. Das wird nicht von heute auf morgen passieren. Aber mit etwas Glück erkennen mehr Menschen aufgrund der Debatte, dass sie verstärkt auf Aktien für ihre private Altersvorsorge setzen sollten. Im Moment sparen wir Deutschen wie die Weltmeister – aber wir sparen falsch, wenn wir auf die Rendite von den Aktienmärkten freiwillig verzichten.

Standpunkt: Das Problem der steigenden Rentenbeiträge kann das Generationenkapital also nicht lösen, bestenfalls mildern.

Moritz Kraemer: Das ist richtig, dieses Problem könnte auch ein Start des Generationenkapitals mit 200 Milliarden Euro nicht lösen. Um die Rentenkassen dauerhaft zu entlasten, gibt es nur einen erfolgversprechenden Ansatz: mehr Menschen länger in Arbeit.