16.12.2020
Alles auf Grün
Die Vision von einer nachhaltigen Wirtschaft wird immer mehr zur ökonomischen Realität – getrieben von Konsumenten, Aktionären und jetzt auch der EU.
Nachhaltiges Wirtschaften ist kein Gutmenschen-Thema mehr, sondern entwickelt sich immer mehr zur ökonomischen Realität: spätestens seit die EU Mitte 2020 die sogenannte Taxonomieverordnung beschlossen hat – als operatives Instrument zur Umsetzung des Klimaziels 2030.
Damit gelten ab 2022 klare Kriterien, wann eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Das schlägt unmittelbar auf die Unternehmensfinanzierung durch. Für die europäische Klimapolitik ist die Taxonomie ein extrem wichtiges Instrument, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Für etliche Unternehmen sind solche EU-Regularien dagegen ungewohnt und treiben ihnen die Schweißperlen auf die Stirn.
Aktionäre und Investoren sind schon seit langem auf dem Grün-Thema. Nach aktuellen Studien haben 90 Prozent der Investmentfirmen rund um den Globus eine klare, auf Nachhaltigkeit getrimmte Investmentstrategie. Immer mehr Konsumenten sehen sich Etiketten und Erzeugernachweise an. Die Bio-Abteilungen in den Supermärkten werden immer größer.
Jetzt macht die EU ernst. Auf dem EU-Gipfel am 11. Dezember 2020 wurde beschlossen, das Klimaziel für 2030 nochmals zu verschärfen. Anstatt um 40 Prozent sollen die Treibhausgasemissionen jetzt sogar um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Das Ziel: Spätestens 2050 soll der EU-Wirtschaftsraum klimaneutral sein.
„Das ist zwar in allen Unternehmen ein Thema“, sagt Alexandra Schadow, Leiterin der Abteilung Corporates im Research der LBBW. Sie beobachte aber durchaus Unterschiede, wie „grünes Wirtschaften“ in den Unternehmen behandelt werde. „Noch immer versuchen manche Industriebetriebe das auszusitzen, während in anderen Unternehmen die Transformation längst ganz oben auf der Management-Agenda steht.“
Der Grund für die Schweißausbrüche von so manchem Financial Officer liegt auf der Hand. Die Transformation zu dekarbonisierten Produktionen, zum nachhaltigen Produzieren, zum CO2-neutralen Wirtschaften kostet zunächst Geld. Viel Geld. Hochrechnungen zufolge gehen die Investitionspläne für die Transformation der deutschen Industrie in die Hunderte von Milliarden Euro.
Die zum Januar 2022 geltende Taxonomie greift tief in die Unternehmens- und Geschäftsstrategie. Und zwar an einer empfindlichen Stelle – der Finanzierung. Vereinfacht: Bei der Kreditvergabe werden die Finanzinstitute künftig Klimaschädlichkeit oder eben Klimafreundlichkeit der Unternehmen mit kalkulieren müssen. Auch bei Kapitalmarktfinanzierungen spricht einiges für Preisaufschläge, wenn die Mittel für weniger nachhaltige Zwecke verwendet werden.
„Die Allokation von Finanzströmen wird damit gezielt und gewollt verändert“, erklärt Katharina Doedens, Leiterin der Abteilung ESG Group Transformation der LBBW. Trotzdem sei das Thema noch zu wenig auf der Management-Agenda etlicher Unternehmen.
Der Grund? Zu komplex, zu weit weg. Und: Vielen ist derzeit noch nicht wirklich klar, welche Auswirkungen der Klimawandel auf ihre Geschäftsmodelle haben wird – rein physisch aber eben auch durch das Konsumverhalten der Kunden.
Oft fehlt auch die Erfahrung mit solchen regulatorischen Vorgaben. „Das Anfang des Jahres gebildete Sustainability-Advisory-Team der LBBW ist derzeit hochfrequentiert, weil viele Unternehmen Fragen haben“, sagt Vinzenz Fundel, einer der Berater in diesem Team. Zwar sieht auch er viele Unternehmen noch mit den Konsequenzen hadern, „beobachtet aber eine deutliche Aufmerksamkeit“. Vor allem, „weil es die Bonität der Unternehmen treffen wird“, so Fundel. Das mache vielen Unternehmen Sorgen und deshalb suchen sie das Gespräch und den Rat der LBBW-Experten.
Die EU-Taxonomie ist das Schlüsselinstrument zur Unterstützung der Finanzierung des Green Deal (siehe Grafik). Dieser umfasst die gesamte Wirtschaft und die Gesellschaft und greift auch direkt bei den Unternehmen an.
So stoppen wir den Klimawandel
Der Preis der Klimastabilität
• 2021 bis 2030 müssen jährlich 350 Mrd. Euro als Investitionssumme aufgebracht werden
• Öffentliche Hand und Privatwirtschaft werden diese Summen gemeinsam aufbringen müssen
• Der Finanzbranche kommt durch das Angebot kapitalmarktnaher, nachhaltiger Finanzprodukte eine Schlüsselrolle zu
Drei Rahmen für ein nachhaltiges Finanzwesen
Die EU-Taxonomie legt die Kriterien für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten und die angestrebten Umweltziele fest.
EU-Standards sollen einheitliche Regeln für innerhalb der Europäischen Union emittierte Green Bonds bringen.
EU-Benchmarks legen einheitliche Referenzwerte bzw. Indizes fest, das gilt auch für Klimaschutzziele.
Dabei gibt es genügend Beispiele, wie Ökonomie und Ökologie zusammengehen. So das Vorzeigeunternehmen Tesla. Dessen Aktienwert schoss in diesem Jahr auf unerreichte Höhen. Grünes-Wirtschaften-Expertin und LBBW-Analystin Schadow relativiert: „Viele alteingesessene Unternehmen haben natürlich aus ihrer eigenen Tradition heraus eine Vergangenheit, die im Sinne des EU Green Deal jetzt quasi über Nacht zur Altlast werden könnte.“ Tesla, wie auch viele andere Start-up-Unternehmen, wurden in die neue Nachfrage-Welt gegründet und haben den „Grüne-Wiese-Vorteil“. Sie sieht aber jetzt durch die Nachhaltigkeitsziele der EU „vor allem auf dem Kapitalmarkt viel Dynamik“ und prognostiziert eine Zukunft, in welcher „der Green Bond das neue Normal sein wird.“