15.05.2024
Ein Jahr Atomausstieg: Warum lief der Abschied so problemlos?
Vor einem Jahr gingen die letzten Kernkraftwerke, einst Grundpfeiler des heimischen Energiesystems, vom Netz. Wie der AKW-Ausstieg gelungen ist.
- Erneuerbare Energien und Kohle ersetzen den Atomstrom problemlos
- Derzeit ist Deutschland allerdings zum Stromimporteur geworden
- Ein Comeback der AKWs ist unrealistisch, sinnvoller sind Gaskraftwerke
Kleiner Zeitsprung zurück ins Jahr 2010: Die Atomenergie macht 22 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland aus. Zusammen mit der Kohle ist sie Garant für die heimische Versorgungssicherheit. Bis es am 11. März 2011 im japanischen Fukushima zu Kernschmelzen im dortigen Atomkraftwerk kommt. Bereits im folgenden Monat kündigt die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie an. Mit dem Abschalten der letzten drei AKWs am 15. April 2023 ist die Kernkraft in Deutschland schließlich Geschichte.
Von 22 auf 0 innerhalb von nur zwölf Jahren – wie ist das möglich? Und wie hat sich der Atomausstieg auf Versorgungssicherheit, CO₂-Emissionen und Strompreise ausgewirkt?
Erneuerbare ersetzen Atomenergie – und Kohlekraftwerke
Ein Blick auf die Stromerzeugung 2023 zeigt, wie umfassend sich das Energiesystem in den vergangenen Jahren gewandelt hat: Mehr als jede zweite Kilowattstunde (54 Prozent) stammt aus regenerativen Quellen, 2010 trugen die erneuerbaren Energien erst 17 Prozent bei. Damit haben Fotovoltaik, Wind- und Bioenergie sowie die Wasserkraft nicht nur die AKWs ersetzt, sondern auch einen Teil der Kohlekraftwerke: Braun- und Steinkohlemeiler hatten 2023 zusammen nur noch einen Anteil von 25 Prozent an der Erzeugung, 2010 waren es noch 42 Prozent.
Diese Entwicklung geht natürlich ganz wesentlich auf den starken Zubau an Anlagen wie Fotovoltaik zurück. Dazu kommt der gesunkene Stromverbrauch von minus 15 Prozent. Rein rechnerisch kompensiert dies rund drei Viertel der weggefallenen AKW-Leistung.
Deutschland wird zum Stromimporteur
Seit dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke importiert Deutschland zudem mehr Strom. Das Handelssaldo hat sich umgekehrt: Lieferte die Bundesrepublik jahrzehntelang mehr Strom ins Ausland, als sie von dort bezog, so überstieg der Import den Export 2023 um fast zwölf Terawattstunden. Gemessen an der Gesamterzeugung von 511 Terawattstunden fällt dies aber nicht sehr ins Gewicht.
Die Stromverbraucher profitieren dennoch von dieser Entwicklung: Importiert wird Strom immer dann, wenn der Bezug aus dem Ausland günstiger ist als die Erzeugung in heimischen Kohle- und Gaskraftwerken. Das drückt die Preise an der Strombörse.
Weniger Emissionen, höhere Preise
Anders als Windräder und Solaranlagen liefern Atomkraftwerke rund um die Uhr Strom, unabhängig von Wind und Wetter. Auf die Versorgungssicherheit hat sich das Aus für die Kernenergie aber nicht negativ ausgewirkt, wie die jährliche Statistik der Bundesnetzagentur zeigt. Für gerade einmal gut zwölf Minuten fiel 2022 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) der Strom im Bundesdurchschnitt aus – 2010 waren es trotz Atomstroms noch fast 16 Minuten. Auch der CO₂-Ausstoß der Stromerzeugung ist seit Einleiten des Atomausstiegs zurückgegangen, obwohl doch die Kernenergie als emissionsfrei gilt: von 556 Gramm pro erzeugte Kilowattstunde 2010 auf 434 Gramm 2022 (auch hier gibt es noch keine aktuelleren Zahlen). Dies liegt vor allem daran, dass die Kohlekraftwerke heute viel weniger zum Strommix beitragen.
Die Preise am Spotmarkt der Strombörse sind dagegen gestiegen. Mussten Einkäufer 2010 im Durchschnitt knapp 45 Euro pro Megawattstunde bezahlen, waren es in den ersten drei Monaten dieses Jahres im Schnitt gut 66 Euro. Allerdings greift es zu kurz, dies allein auf den Atomausstieg zurückzuführen. Das Geschehen am Strommarkt ist komplex, auf die Preisbildung haben viele Faktoren Einfluss. Dazu zählen unter anderem die Preise für Kohle und Erdgas sowie die der CO₂-Zertifikate, die Betreiber fossiler Kraftwerke bezahlen müssen.
Keine Zukunft für die Atomenergie
Bei den meisten der deutschen Atomkraftwerke steckt der Rückbau noch in den Anfängen. Etwa 10 bis 15 Jahre dauert der Prozess. Bei manchen Meilern wäre es theoretisch möglich, die Demontage zu stoppen, um sie eines Tages wieder in Betrieb zu nehmen. In der Praxis wäre der Aufwand viel zu groß: Die Technik müsste aktualisiert und die Genehmigungsverfahren erneut durchlaufen werden. Vor allem aber schreitet der Ausbau der erneuerbaren Energie so schnell voran, dass gar kein Bedarf besteht, einzelne Anlagen wieder ans Netz zu bringen. So setzen die ehemaligen AKW-Betreiber EnBW, RWE und Vattenfall längst voll auf die Erneuerbaren. Gefragt als Ergänzung zur Wind- und Solarenergie sind dann vielmehr Gaskraftwerke, die schnell hoch- und runterfahren können, um die schwankende Grünstromerzeugung auszubalancieren. Die trägen Atommeiler können das nicht leisten.