19.12.2022
Im Robocab unterwegs in der Autonomous City
Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Und natürlich: Wie wollen wir in Zukunft mobil sein? Forscher haben konkrete Visionen dazu.
Hollywood nimmt in seinen Blockbustern gerne die Zukunft vorweg. So jagen in „Minority Report“ mit Tom Cruise die Vehikel mit Cyber-Antrieb durch die Luft. Wird das unsere Zukunft sein? Vorstellbar ist es, denn uns erwartet ein multimobiles Zeitalter, so der ADAC in einer Studie zur Evolution der Mobilität. Das Zusammenspiel der beiden Megatrends Mobilität und Individualität sorge für eine neue Optionenvielfalt in den kommenden Jahrzehnten. Ergo: „Wir stehen vor ähnlichen Umwälzungen wie nach der Erfindung des Autos vor 125 Jahren. Hinter der vordergründigen Kontinuität verbirgt sich ein evolutionärer Wandel des Systems der Mobilität, der nicht unterschätzt werden darf.“
Mobilität ohne Raubbau an Ressourcen
„Das alte Modell lautete: eine Familie, ein Haus, ein Auto“, sagte Zukunftsforscher Stephan Rammler dem Geo-Magazin. „Doch für dieses Modell fehlen uns mehr und mehr die Ressourcen – vor allem der Platz und die fossilen Brennstoffe“, so der wissenschaftliche Direktor des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung.
Schon jetzt scheint klar, die nächste Generation unserer Autos wird über bessere Energieeffizienzen und damit mehr Reichweite verfügen und elektromobil sein. Pkw werden zunehmend zu fahrenden E-Mail-Adressen, was dem Trend der ständigen Erreichbarkeit und steten Verfügbarkeit geschuldet ist. Nicht mehr PS und Höchstgeschwindigkeit werden zum Verkaufsargument, sondern Rechnerleistungen und Cloud-Lösungen.
Die Frage der Zukunft lautet nicht „Batterie oder Verbrenner“. Stattdessen geht es um „besitzen oder teilen“ und „selbst fahren oder autonom fahren“.
„Die Frage der Zukunft lautet nicht ,Batterie oder Verbrenner‘. Stattdessen geht es um ‚besitzen oder teilen‘ und ,selbst fahren oder autonom fahren‘“, sagt LBBW-Sektorexperte Matthias Pohl. Hier ergeben sich neue Chancen und Risiken für die Hersteller und Zulieferer, die frühzeitig erkannt und angesprochen werden müssen. Die LBBW begleitet die Unternehmen bei dieser Transformation und steht hier mit ihrem Know-how als Sparringspartner zur Verfügung.
Eine Studie des Bundesverkehrsministeriums „Mobilität in Deutschland“ kommt zu einem ernüchternden Schluss: Von den derzeit rund 40 Millionen Autos in Deutschland sind immer nur 10 Prozent gleichzeitig in Bewegung. „90 Prozent stehen irgendwo geparkt.“ Eine Studie des Tiefbauamts in Zürich kommt zu folgenden Ergebnissen: „100 Quadratmeter nimmt demnach ein Auto pro beförderter Person ein. Busse lagen bei 20, ein Fahrrad bei 10, der Zug bei 7 Quadratmetern.“ Mit anderen Worten: Zu viele Autos benötigen zu viel Raum.
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Standpunkt empfangenAus Fahrradständern werden Mobility-Hubs für Xycles.
Wohl aus diesen Gründen gehen nahezu alle Studien, die sich mit der Zukunft der Mobilität beschäftigen, nicht von technologischen Sprüngen in der Fahrzeugentwicklung aus, sondern von kompletten Veränderungen des Nutzungsverhaltens. Es geht um Femobility (auf frauenspezifische Bedürfnisse angepasste Mobilitätsangebote), Energy-Places (in der alten Sprachwelt: Tankstellen), Frontdoor-Mobility (an der Haustür losfahren) bis hin zu Xycles (heute noch Fahrrad) und Neo-Fencing (intelligente Vernetzung von Pkws und dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr).
In den Studien bekommt alles Bisherige und Gewohnte – Parkplätze und Parkhäuser, Staus und Autostraßen, Tankstellen und Ampeln – einen negativen Zungenschlag. Die Zukunft dagegen ist rosarot. So werden aus Fahrradständern am Bahnhof Mobility-Hubs oder wahlweise auch Micro-Mobility-Hubs (für Scooter, Roller und Xycles). Aus dem „Staustress am Morgen, in dem wir sinnlos CO2 in die Atmosphäre blasen“, wird durch autonom fahrende Vehikel „aktive Gestaltungszeit“ auf dem Weg zur Arbeit. Und aus der Autostadt wird die Autonomous City mit autonom fahrenden Taxis („Robocabs“) und viel Grün. Das Warten in der Kälte auf die S-Bahn hat mit Seamless Mobility – nahtlos aufeinander abgestimmte Mobilitätsketten von öffentlichen, privaten und kommerziellen Mobilitätsanbietern in Echtzeit – endlich ein Ende.
Die Mobilitätswende hat begonnen – überall auf der Welt.
Erste Städte machen ernst. Dass Kopenhagens Straßenfluchten von mehr Radlern als Autos bevölkert werden, ist weitläufig bekannt. In Palma de Mallorca gilt hinter dem Stadteingangsschild fast überall Tempo 40. Paris und Mailand treiben eine radikale Abkehr von der autozentrierten hin zur menschenzentrierten Stadt voran. So wird Paris als „15-Minuten-Stadt“ (Ville du quart d’heure) zum Leitbild für viele weitere Städte: Grünanlagen, Sporteinrichtungen, die öffentliche Verwaltung, Gesundheits- und Bildungsstrukturen sowie Einkaufs- und Arbeitsmöglichkeiten werden künftig innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichbar sein: In jeder Straße der französischen Hauptstadt wird es Radwege geben. Städte erfinden sich neu.
In Lissabon ließ der deutsche Autohersteller Volkswagen in einem Feldversuch Busse mithilfe von Quantencomputern effizienter durch den Verkehr steuern. Und Barcelona hat begonnen, komplette Stadtquartiere für den Autoverkehr zu sperren: Auf den einstigen Straßenkreuzungen treffen sich die Anwohner nun zu Yogaklassen. Die Verringerung der Abgasbelastung könnte, so kalkulieren Umweltmediziner, jährlich 3.500 Todesfälle in der Region verhindern.
In Amsterdam gibt es rund um den Bahnhof mehr als 9.000 Fahrradstellplätze – unterirdisch und hochmodern. Eine Digitalanzeige leitet Radler auf sanften Rampen abwärts in die hellen, weitläufigen Garagen, die mit ihrem glänzenden Boden, weißen Säulen und futuristischer Deckenbeleuchtung eher an einen Luxusshop als an ein düster-muffiges Parkhaus erinnern.
In Shenzhen, China, sind gut 16.000 Batteriebusse unterwegs. Außerdem fahren fast alle Taxis elektrisch. Und der japanische Autohersteller Toyota plant am Fuß des Vulkans Fuji eine komplett nachhaltige Modellstadt („Woven City“) mit emissionsfreien, selbststeuernden Fahrzeugen. In Singapur experimentiert die Stadtverwaltung mit der Vernetzung anonymisierter Daten, um den Verkehr der Millionenmetropole intelligent zu steuern. Singapur steht damit an der Spitze eines internationalen Rankings zur Zukunftsbereitschaft für urbane Mobilität.
Shared Mobility: Nutzen statt Haben
Der offenbar gemeinsame Nenner aller Mobilitätsplaner der Zukunft: Die Städte wollen und werden sich verändern. Das Lösungswort heißt Sharing. Nutzen statt Haben.
Eine Studie der Strategieberatung Oliver Wyman kommt zu dem Ergebnis, dass durch Shared Mobility im Jahr 2040 die privaten Ausgaben für eigene Autos um 25 bis 30 Prozent gegenüber 2015 zurückgehen werden. Und nach Prognosen der Europäischen Kommission wird der Energiebedarf im Personenverkehr im Jahr 2040 rund ein Viertel unter dem Niveau von 2015 liegen. Mit oder ohne Cyber-Antrieb: Das ist die Zukunft.