25.07.2024

Mittelstand hält Bürokratie für den Endgegner

Das Lieferkettengesetz belastet deutlich mehr Mittelständler als gedacht. Obwohl eigentlich nicht dazu verpflichtet, müssen sie umfangreiche Nachweise vorhalten.

Geschäftsfrau steht in Lagerhalle und fasst sich an ihre Armbanduhr
Geschäftsfrau steht in Lagerhalle und fasst sich an ihre Armbanduhr

Es ist noch schlimmer gekommen als befürchtet. Eigentlich sollte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) vor allem große, weltweit agierende Unternehmen zur Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards anhalten. Tatsächlich jedoch ist auch die Mehrheit der kleineren Mittelständler (KMU) betroffen, sofern sie diesen Großunternehmen zuliefern. „Fast drei Viertel der befragten Unternehmen sehen sich direkt oder indirekt vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen“, sagte Mittelstandsanalyst Andreas da Graça bei der Vorlage des Mittelstandsradars 2024. Nicht das Gesetz legt ihnen zahlreiche Verpflichtungen auf, sondern ihre Großkunden, die von ihnen in der Praxis oftmals einen umfassenden Beitrag zur Berichterstattung über die Erfüllung von Sorgfaltspflichten erwarten. Verweigern sie sich, droht ihnen der Unternehmensbefragung zufolge womöglich der Verlust von Aufträgen. Erfahrungen wie diese lassen die überwiegende Mehrheit der Unternehmen inzwischen die Bürokratie und ihre Regelungen als ihren größten Gegner ausmachen. „Inzwischen benennt der Mittelstand fast unisono die überregulierenden Behörden als Hauptbelastungsfaktor“, erklärt da Graça.

84 %

der deutschen Mittelständler nehmen die überregulierende Bürokratie als Hauptbelastungsfaktor wahr.

Gestaffelt nach Unternehmensgröße verpflichten das deutsche und das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) bis 2029 immer mehr Unternehmen zu umfassenden Sorgfaltspflichten. Das ist dann allerdings nicht nur ein Sieg für die Menschenrechte, sondern auch ein Sieg für die Bürokratie. Denn Unternehmen müssen künftig europaweit dokumentieren, dass von ihnen importierte Produkte aus Drittländern nicht zu Kinderarbeit oder Umweltschäden führen. Die Kontrolle weltweiter Lieferketten und (in)direkter Geschäftspartner ist dabei mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden.

Wirtschaftsminister will eigenes Lieferkettengesetz aussetzen

Besonders ärgerlich für die deutschen Mittelständler: Die Unternehmen aus den Nachbarländern sind durch die CSDDD erst ab 2025 dazu verpflichtet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte deshalb im Juni vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen, bis die europäische Regelung greift.

Fast drei Viertel der von uns befragten Mittelständler sehen sich direkt oder indirekt vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen.

Mittelstandsanalyst Andreas da Graça, LBBW Research

Wie die Umfrageergebnisse des Mittelstandsradars zeigen, dürften von diesem bürokratischen Befreiungsschlag weit mehr Unternehmen profitieren als bislang vermutet. Eigentlich sind Mittelständler mit weniger als 250 Mitarbeitern und weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz vorerst nicht von der Regelung betroffen. Allerdings müssen berichtspflichtige Großunternehmen ihre kleineren Geschäftspartner in die Risikoanalyse und gegebenenfalls in Präventions- und Abhilfemaßnahmen mit einbeziehen und fordern entsprechende Informationen an. Beim Mittelstandsradar 2024 hielten sich nur ein Viertel der befragten Unternehmen direkt vom Lieferkettengesetz betroffen. Weitere 43 Prozent sahen sich allerdings wegen geschäftlicher Verflechtungen indirekt konfrontiert.

25 %

der für den Mittelstandsradar befragten Unternehmen sind direkt vom Lieferkettengesetz betroffen.

Entziehen können sich diese Unternehmen der indirekten Berichtspflicht nicht. Der Umfrage zufolge passen nach dem Lieferkettengesetz berichtspflichtige Unternehmen bereits heute ihre Lieferketten an die neue Gesetzeslage an. Rund die Hälfte der Unternehmen meidet demnach risikoreiche Zulieferer, und jedes dritte Unternehmen möchte auf schwer überprüfbare Zulieferer verzichten. Gleichzeitig planen 29 % der Befragten, sich aus risikoreichen Ländern zurückzuziehen.

43 %

der Mittelständler müssen sich als Zulieferer von Konzernen mit dem Lieferkettengesetz beschäftigen.

Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig?

Das sorge für Fehlanreize, kritisiert LBBW-Analyst Andreas da Graça. Noch 2023 sei von Unternehmen mit einem starken China-Anteil in ihrem Geschäft gefordert worden, ihre Lieferketten krisensicherer aufzustellen. „Da den Ergebnissen zufolge die Attraktivität von Zulieferern aus dem Ausland sinkt, könnte dies ein schlechtes Signal für die angestrebte Diversifizierung von Lieferketten und Handelsbeziehungen sein“, betont der Mittelstandsexperte. „Allerdings sind sich auch noch viele Unternehmen unschlüssig, welche Anpassungsmaßnahmen in Zukunft getroffen werden sollen.“ Jedes vierte Unternehmen konnte nicht erklären, wie sich ihr Lieferantenstamm wegen des Lieferkettengesetzes geändert habe oder verändern werde.

Hemmende Faktoren für Geschäftsaktivitäten

Quelle: LBBW Research

Viele deutsche Mittelständler beklagen seit Längerem, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht mehr im Mittelpunkt des politischen Handelns steht. Statt Planungssicherheit und Berechenbarkeit sowie Entlastungen für Unternehmen gebe es eine Überregulierung, wie zum Beispiel bei den ausufernden Berichtspflichten, so die Klage. Das Mittelstandsradar zeigt dabei, wie stark sich Bürokratie und Mittelstand inzwischen entzweit haben. Die überwiegende Mehrheit der durch das LBBW Research im April 2024 befragten knapp 300 Unternehmen stuft den hohen bürokratischen Aufwand (84 %) als Hauptbelastungsfaktor ein. An zweiter Stelle stehen die damit stark verwandten hohen regulatorischen Anforderungen (72 %). Erst den dritten Platz teilen sich die Nachfrageschwäche sowie der inzwischen teilweise dramatische Fachkräftemangel mit jeweils 65 %.

Die Herausforderungen im Mittelstand nehmen zu