17.11.2022
Süd gegen Nord – Betroffene versus Verursacher
45.000 Vertreter aus aller Welt diskutierten auf der 27. Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh über massive Finanzhilfen und Auswege aus der Klimakrise.
Rund 11.800 Kilometer sind es von Stuttgart nach Palau. Nördlich von Papua-Neuguinea mitten im Pazifik leben dort etwa 18.000 Einwohner auf sechs Inselgruppen mit insgesamt 356 Inseln von Landwirtschaft und Fischerei und Traumurlaubern, die sich ein paar Tage im Paradies gönnen.
Noch, denn Palau wird vom Ozean verschlungen. Landwirtschaft ist kaum noch möglich. Strände und das Korallenriff sind beinahe komplett zerstört. „Ihr könntet uns auch gleich bombardieren“, sagt Surangel Whipps. Mit „ihr“ meint der Regierungschef und Präsident von Palau den reichen Norden, die industrielle Welt.
Auf der 27. Weltklimakonferenz – COP 27 – im ägyptischen Sharm el-Sheikh stehen sich die Länder des Südens und die Staaten des Nordens gegenüber. Man könnte es auch anders formulieren. Betroffene gegen Verursacher. Vertreter des Südens – wie Surangel Whipps – fordern gigantische Finanzhilfen von den Verursachern hin zu den Betroffenen.
100 Milliarden Dollar pro Jahr fordern die Staaten des Südens schon seit langem, um mit den Folgen des Klimawandels umzugehen und soziale Härten abzufedern. Und die Verursacher hatten sich schon 2009 in Kopenhagen zur Zahlung verpflichtet. Doch die industrialisierte Welt setzt gerade andere Prioritäten. Sie kämpft mit den Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Indiens Präsident Narendra Modi hatte schon kurz nach dem russischen Überfall gesagt: „Das, was die Welt derzeit am wenigsten braucht, ist ein Krieg.“
Wenig klare Signale und kein Ehrgeiz
Die Hoffnungen auf eine klare Marschrichtung aus dem Klimadesaster, ein klares Signal, das Thema endlich ernsthaft anzugehen, waren schon im Vorfeld begrenzt. Sehr begrenzt. Der Geist von Paris – als man sich zu dem berühmten, wohl unerreichbaren Ziel von 1,5 Grad Erderwärmung durchrang – ist in Ägypten nicht vorhanden. „Paris hatte die EU, Paris hatte Frankreich als Treiber. Europa wollte unbedingt, dass ein Signal vom Pariser Gipfel ausgeht. Dieser Ehrgeiz, diese Führerschaft fehlen heute“, kommentiert LBBW-Chefökonom Dr. Moritz Kraemer.
Das zeigt schon ein Blick auf die COP27-Homepage: „Wir streben eine Beschleunigung der globalen Klimaschutzmaßnahmen durch Emissionsreduzierung, verstärkte Anpassungsbemühungen und verstärkte Bereitstellung geeigneter Finanzmittel an. Wir erkennen an, dass der, gerechte Übergang‘ für die Entwicklungsländer weltweit eine Priorität bleibt.“ Das ist eher vage und weich formuliert.
Der Klimawandel findet bei uns ja nur in Zeitlupe statt.
„Der Klimawandel findet bei uns ja nur in Zeitlupe statt“, versucht sich LBBW-Chefökonom Kraemer an einer Erklärung. Wenn es dramatische Ereignisse gäbe, „wird das häufig als singuläres Naturereignis gesehen“. Beispiel? „Die Katastrophe im Ahrtal haben wir schnell mit viel staatlicher Hilfe weitgehend abfedern können. Überschwemmungen, wie dieses Jahr in Pakistan, haben eine komplett andere Dimension: im Ausmaß, im Schaden, für die Menschen.“
Ignorieren! Wegsehen! Verantwortung abstreiten! Noch immer stehen andere Motive oben auf der Agenda. Der Mississippi führt derzeit so wenig Wasser wie noch nie, eine der Hauptverkehrsadern der USA für den Gütertransport fällt aus – ein gigantischer ökonomischer Schaden. „Gottgegeben“, sagen viele Amerikaner. Das Gleiche gilt für Hurrikan Ian – mit der zweithöchsten Schadensbilanz aller Zeiten –, der im September weite Teile Floridas verwüstete.
Klimawandel – jetzt schon existenzbedrohend
Wenn Palau oder andere Inselgruppen im Pazifik dem Untergang jeden Tag ins Auge blicken, ist das weit weg. Genauso wenig tangiert es den Rest der Welt, wenn ganzen Landstrichen und den dort lebenden Menschen schlicht die Lebensgrundlage genommen wird. Etwa, wenn im Norden der Philippinen der gestiegene Pazifikspiegel die Trinkwasserbrunnen versalzen lässt. Auch dort ist Landwirtschaft nicht mehr möglich.
In vielen Regionen der Welt ist der Klimawandel jeden Tag spürbar. Sichtbar. Existenzbedrohend. Der Versicherer Allianz hat neulich die Schadenssumme taxiert, die uns schon jetzt der Klimawandel pro Jahr in Rechnung stellt: 500 Milliarden Dollar jährlich stehen auf unserem Deckel.
Nachhaltigkeit? Jetzt kämpfen viele Firmen um das nackte Überleben.
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Standpunkt empfangen„Die Dynamik beim Klimaschutz seit COP26 hat sich insgesamt verlangsamt“, konstatiert LBBW-Chefvolkswirt Kraemer. „Obwohl sich alle Länder verbindlich darauf geeinigt haben, ihre nationalen Klimaziele für 2030 innerhalb eines Jahres zu verschärfen, haben dies bisher nur 26 getan und einige auch nur minimal. Das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels bleibt so außer Reichweite.“ Ohne die USA und ohne China, die beiden Hauptemittenten des Klimafeinds CO2, werde es nicht gehen, sagt Kraemer. Dazu komme der absurde Krieg in Europa. „In vielen Unternehmen hat das Thema Nachhaltigkeit lange eine ganz wichtige Rolle gespielt“, sagt Kraemer. „Jetzt kämpfen viele Firmen um das nackte Überleben.“ Eine schwere Rezession stehe bevor. Der Fokus sei deshalb ganz klar: „Erst das Unternehmen retten.“
Immerhin einen kleinen Lichtblick liefert der vor ein paar Wochen veröffentlichte Weltklima-Outlook der Vereinten Nationen. Demnach ist in diesem Jahr der CO2-Ausstoß weltweit nur um weniger als ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Solarenergie und Windkraft sind dem Report zufolge weiter auf dem Vormarsch und ersetzen zunehmend fossile Energieträger. Warum das eine gute Nachricht ist? Noch im vergangenen Jahr waren die Experten der Vereinten Nation fest davon ausgegangen, dass der CO2-Ausstoß zumindest bis 2050 nahezu ungehemmt steigt. Beim Klimaschutz muss man auch die kleinsten Entwicklungen nehmen. Und positiv denken.