17.06.2022
Verbrenner-Aus ab 2035: Was heißt das für die Automobilbranche?
Elektrifizierung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit – die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen. Zudem kommt noch das Verbrenner-Aus ab 2035.
Das EU-Parlament hat beschlossen, dass ab dem Jahr 2035 keine neuen Autos und Transporter mit Verbrenner-Motoren verkauft werden dürfen. Die Entscheidung ist Teil des EU-Klimapakets „Fit for 55“, mit dem der Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden soll. Dieses Ziel ist im Green Deal der EU-Kommission verankert. Bevor Schluss ist mit Verbrennungsmotoren, wird darüber allerdings noch mit den EU-Mitgliedsstaaten verhandelt. Ein Gespräch mit Matthias Pohl, Sektorexperte Automobil bei der LBBW.
LBBW: Das EU-Parlament hat Anfang Juni einen Ausstieg aus der Produktion von Verbrennungsmotoren bei Pkw und Transportern bis zum Jahr 2035 beschlossen. Was bedeutet das für die europäischen und speziell deutschen OEMs?
Matthias Pohl: Aus meiner Sicht ist das nur eine Konkretisierung der Rahmenbedingungen. Das bereitet den Automobilherstellern keine schlaflosen Nächte, da die Diskussionen schon länger in diese Richtung gelaufen sind. Zudem gab es schon regionale Ankündigungen wie beispielsweise in Dänemark, wo darüber nachgedacht wird, schon 2030 keine Verbrenner mehr neu zuzulassen. Oder in Paris: Hier wird geplant, ab 2024 keine Diesel mehr in die Stadt zu lassen. Die Automobilhersteller haben bereits entsprechende Strategien entwickelt, um schon ab 2030 nur noch E-Fahrzeuge auf den Markt zu bringen.
Das bereitet den Automobilherstellern keine schlaflosen Nächte, da die Diskussionen schon länger in diese Richtung gelaufen sind.
LBBW: Ford, Mercedes und andere hatten bereits letzten November auf der Weltklimakonferenz in Glasgow einen Verkaufstop für Verbrenner ab 2035 gefordert. War das Marketing oder eine ehrliche Absicht?
Pohl: Die Hersteller müssen langfristig planen, benötigen die entsprechenden Produktionsstätten, funktionierende Lieferketten und stabile Wertschöpfungsstrukturen. Wenn die Branche also über 2035 redet, dann steckt da nach meiner Ansicht eine ehrliche Absicht dahinter. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist es zudem alternativlos, dass wir alle in 15 bis 20 Jahren emissionsfrei fahren.
LBBW: Unter anderem die CDU und der ADAC wollten, dass auch so genannte E-Fuels (durch grünen Wasserstoff betriebene Kfz) Teil der nachhaltigen Mobilität sind. Das wurde vom EU-Parlament abgelehnt. Ein Fehler?
Pohl: Das Thema E-Mobilität macht nur Sinn, wenn wir die Energie, die wir verbrauchen, aus regenerativen Quellen beziehen. Das gilt für die Produktion der Fahrzeuge genauso wie für die Herstellung der Kraftstoffe. Bei den E-Fuels fallen extrem hohe Energiemengen an, um die Kraftstoffe zu produzieren, während beim batterie-elektrischen Fahrzeug die Energie sofort im Fahrzeug gespeichert wird. Das heißt, mit derselben Energiemenge kann ein batterieelektrisches Fahrzeug die fünf bis 10-fache Strecke zurücklegen, als ein Fahrzeug das mit E-Fuels betrieben wird. Da aktuell nicht genügend regenerative Energiemengen vorhanden sind, werden E-Fuels in den nächsten Jahren nur bei Nischenanwendungen wie Schiffen, in der Luftfahrt oder bei Sportwagen eine Rolle spielen. Sollte es bis 2030 gelingen, ausreichende Mengen an E-Fuels regenerativ herzustellen, dann können damit die Verbrennerfahrzeuge aus dem Fahrzeugbestand betankt werden. Ich vermute, man wird die E-Fuels noch in die EU-Verordnung mit aufnehmen, doch aus heutiger Sicht stellen sie keine flächendeckende Lösung dar.
LBBW: Kritik kommt auch von der Deutschen Umwelthilfe. Sie meint, das Verbrenner-Verbot komme viel zu spät. Hätte die EU anders entscheiden müssen?
Pohl: Das ist wie immer, dem einem geht es zu langsam, dem andere viel zu schnell – 2035 ist natürlich ein Kompromiss Am Ende des Tages wird hier der Kunde entscheiden. Steigt die Nachfrage, dann sind die Automobilhersteller auch in der Lage, die Kunden vollständig mit E-Fahrzeugen zu bedienen. Auch dann, wenn es die Regulatorik noch gar nicht erfordert.
2035 ist natürlich ein Kompromiss. Am Ende des Tages wird hier der Kunde entscheiden.
LBBW: VW kann im Augenblick gar keine E-Fahrzeuge liefern, ist das nicht ein schlechtes Zeichen für die steigende Nachfrage?
Pohl: Volkswagen hatte das Problem, dass Zulieferteile aus der Ukraine und Halbleiter fehlten. Diese Probleme scheinen aktuell gelöst, da das VW-Werk in Zwickau wieder den 3-Schicht-Betrieb aufgenommen hat. Die Branche insgesamt steht beim Hochlauf der Elektro-Mobilität an vielen Stellen vor Herausforderungen, die immer mal wieder in den Vordergrund treten werden: So muss beispielsweise die Versorgung mit Batteriezellen gesichert sein. Das gilt auch für die nötigen Rohstoffe wie Lithium und Kobalt. Die Frage nach der Förderung durch die EU oder die Bundesregierung wird in der Zukunft ebenfalls eine Rolle spielen. Aber eines ist klar: der langfristige Weg zur emissionsfreien Mobilität wird dadurch nicht verlassen.
LBBW: Gibt es 2035 in Deutschland überhaupt ein flächendeckendes Netz an Ladestationen und genügend grünen Storm für die anrollende Flotte der E-Fahrzeuge?
Pohl: Am Thema „Grün-Strom“ muss dringend gearbeitet werden. Das ist Tagespolitik und da hören wir jeden Tag neue Ideen, wie der Ausbau von Solar, Photovoltaik und Wind beschleunigt werden kann. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ebenfalls ein Thema, da müssen wir in Deutschland dringend dran arbeiten. Dabei gilt es, die Rahmenbedingungen (z.B. elektrisches Versorgungsnetz) sowohl im privaten, als auch im öffentlichen Bereich zu schaffen und den Ausbau der Infrastruktur zu beschleunigen.
LBBW: Herr Pohl, fahren Sie ein E-Auto?
Pohl: Ich habe einen Plug-In Hybrid und versuche, mit der Reichweite von rund 70 Kilometern sehr viel elektrisch zu fahren. Der Weg zur Arbeit und zurück ist damit zu schaffen, bei weiteren Strecken springt dann der Verbrenner an.
Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie uns!
Matthias Pohl
Mit der Autobranche beschäftigte sich Matthias Pohl bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Fraunhofer Institut IPA sowie als Industrieexperte und Berater bei McKinsey. Als Sektorexperte für den Automobilbereich unterstützt er heute die Branche beim anstehenden Wandel. Mit dem Aufkommen der E-Mobilität sieht Pohl speziell auf die Zulieferer große Veränderungen zukommen und erwartet eine Verschiebung der Wertschöpfung in der Branche.