Unsere Einschätzung zur gegenwärtigen Lage in Südkorea und erwartbarer Auswirkungen der jüngsten Ereignisse
Nach dem gescheiterten Putschversuch des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol und seines engsten Kreises am Dienstag dieser Woche hat sich die Lage in Südkorea etwas beruhigt. Das Parlament konnte noch am selben Tag – unter teils widrigen Umständen und trotz Blockaden des Parlamentsgebäudes durch Militäreinheiten – in einer Notsitzung die Ausrufung des Kriegsrechts durch Präsident Yoon außer Kraft setzen. Für einige Stunden war jedoch nicht klar, ob Präsident Yoon die Entscheidung des Parlaments akzeptieren würde. Yoon rechtfertigte die Verhängung des Kriegsrechts mit der Behauptung, aus Nordkorea gesteuerte Kräfte im Land bekämpfen und die Stabilität des Landes sichern zu wollen. Anhaltspunkte oder Beweise für etwaige Aktivitäten ausländischer Kräfte lieferte er nicht. Nach so gut wie allen internationalen Einschätzungen sind Yoons Behauptung ohne Grundlage und ein vorgeschobenes Argument, um sich aus seiner von politischen Rückschlägen gekennzeichneten Amtszeit zu befreien. Auch Korruptionsuntersuchungen seitens der Justiz gegen Familienmitglieder von Yoon könnten ihn zu diesem Schritt verleitet haben. In Korea ist der Präsident Staatsoberhaupt und Regierungschef zugleich und wird durch Direktwahl des Volkes ermittelt. Da Yoons Partei aber bei den vergangenen zwei Parlamentswahlen (zuletzt im April 2024) jeweils keine Mehrheit erringen konnte, steht er seit Amtsantritt 2022 einer Minderheitsregierung vor.
Die Ausrufung des Kriegsrechts durch Yoon kam sowohl für die Bevölkerung als auch für politische Beobachter aus heiterem Himmel. Selbst führende Mitglieder seiner eigener Partei waren nicht in die Planungen eingebunden und kritisierten Yoon scharf für seinen Versuch der Machtergreifung. Die Finanzmärkte reagierten in den Stunden danach auch entsprechend. Während der koreanische Won in der Spitze über 3 % gegenüber dem US-Dollar an Wert verlor, brachen koreanische Aktienwerte an den internationalen Märkten deutlich ein. In den letzten zwei Tagen konnten sich die Märkte wieder stabilisieren. Die koreanische Zentralbank reagierte umgehend und stellte dem Finanzsektor umfangreiche Liquiditätshilfen zur Verfügung. Auch das Finanzministerium kündigte Maßnahmen u.a. zur Stützung der Währung an.
Die koreanische Demokratie und die institutionelle Ordnung dürften den Putschversuch nach ersten Einschätzungen überstanden haben. Unbestritten stellen die jüngsten Ereignisse aber einen Imageschaden für das Land dar. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft dürften sichtbar werden, sich aber im Rahmen halten. Am Ehesten bietet sich ein Vergleich zu 2016 an, als die politischen Umstände nach dem Sturz der damaligen Präsidentin Park Geun-hye ähnliche Unsicherheiten erzeugten. Ausgehend davon dürfte sich die Stimmung unter den Haushalten eintrüben, das Wachstum des bereits über die letzten Monate schwächelnden Inlandskonsums weiter zurückgehen. Der Wirtschaftsleistung im nächsten Jahr könnten die Ereignisse 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte Wachstum kosten. Der koreanische Won dürfte trotz Erholung von den Tiefs der Woche über die nächsten Monate unter Druck bleiben. Viel wird davon abhängen, wie sich die innenpolitische Situation in den nächsten Tagen und Wochen entwickelt. Ein rascher Rücktritt bzw. eine Amtsenthebung des Präsidenten und schnelle Neuwahlen könnten den Schaden begrenzen. Die Oppositionsparteien streben bereits für diesen Samstag eine Abstimmung zur Amtsenthebung von Yoon an. Diese müsste vom Verfassungsgericht in Folge bestätigt werden. Auch für seine eigene Partei dürfte Yoon nach jüngsten Aussagen aus der Parteispitze nicht mehr tragbar sein. Unabhängig davon kommt das innenpolitische Chaos angesichts zunehmender geopolitischer Unsicherheiten zur Unzeit für das Land. Vor allem in den letzten Monaten nahmen die Drohgebärden aus Nordkorea wieder zu. Und mit dem Amtsantritt Donald Trumps in den USA Anfang nächsten Jahres sind neue handelspolitische Risiken zu erwarten. Die Verhandlungssituation Koreas auf der internationalen Bühnen ist vorerst geschwächt. Bis zur Neuordnung der innenpolitischen Lage überwiegen jedenfalls die Abwärtsrisiken.