11.04.2024
Bei Fehlern ist nicht der Mensch schuld, sondern der Prozess
Wer konstruktiv mit Fehlern umgeht, macht sein Unternehmen dadurch zukunftsfähig: Stefan Lapenat, Leiter des HRperformance Instituts, über die Fehlerkultur.
Standpunkt: Wer arbeitet, macht Fehler …
Stefan Lapenat: … und wer mehr arbeitet, macht mehr Fehler. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Organisationen damit beschäftigen, wie sie mit Fehlern umgehen. Denn es rächt sich, dieses Thema zu ignorieren.
Standpunkt: Warum ist es so wichtig, sich mit Fehlern zu beschäftigen?
Stefan Lapenat: Weil die Fehlerkultur mit über die Zukunftsfähigkeit von Organisationen entscheidet. Dafür müssen Unternehmen natürlich profitabel und innovativ sein, dazu attraktive Arbeitgeber. Aber für eine Zukunftsfähigkeit braucht es mehr als rational-schlüssige Entscheidungen: Zum „Hirn“ muss „Herz“ kommen. Wie ist das Betriebsklima? Wie ist die Führungskultur? Wie gehen wir miteinander um, wenn es gut läuft? Und vor allem: Wie gehen wir miteinander um, wenn es schlecht läuft?
Standpunkt: Lassen Sie mich raten: Wenn es schlecht läuft, sind offenbar Fehler gemacht worden. Dann werden Schuldige gesucht.
Stefan Lapenat: Bevor wir zu Schuldfragen kommen, bleiben wir noch kurz dabei, wie wir Menschen mit Fehlern umgehen. Warum fällt es uns so schwer, Fehler zuzugeben? Weil es häufig schambesetzt ist. Und damit ist es unglaublich emotional! Warum also Fehler zugeben, wenn es sich vermeiden lässt? Auch deshalb gibt es viele Unternehmen, in denen Fehler unter den Teppich gekehrt werden.
Standpunkt: Sie verstehen also den Impuls, Fehler vertuschen zu wollen?
Stefan Lapenat: Absolut! Aber diesem Impuls nachzugeben, kostet sehr viel Energie. Es soll ja niemand mitkriegen, was passiert ist – bis es dann wahrscheinlich doch herauskommt. Gerade weil dieser Impuls, eigene Fehler zu vertuschen, menschlich so verständlich ist, müssen sich Unternehmen dem Umgang mit Fehlern stellen. Damit nicht immer mehr Fehler unter den Teppich gekehrt werden und die Energie in sinnvollere Bahnen gelenkt werden kann.
Da wir die Fehler nicht aus den Organisationen bringen können, sollten wir zumindest das Drama aus den Fehlern bringen.
Standpunkt: Aber welches Unternehmen sagt sich: „Hey, wir müssen mal ran an unsere Fehlerkultur“?
Stefan Lapenat: Wenn sie erkannt haben, warum das wichtig ist. Das passiert erfahrungsgemäß oft erst, wenn etwas so richtig an die Wand gefahren wurde. Oder wenn es scheinbar um etwas ganz anderes geht. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: Manche Unternehmen wären gern innovativer, andere werden von agileren Wettbewerbern überholt. Einige fragen sich, warum die Fluktuation bei ihnen so hoch ist. Solche Fragen sind oftmals der Impuls. Erst wenn sich die Unternehmen intensiver mit der jeweiligen Herausforderung beschäftigen, stellen sie fest, dass die Antwort viel mit der eigenen Fehlerkultur zu tun hat. Das ist keine angenehme Erkenntnis, denn es hat seinen Grund, warum Organisationen lieber um dieses Thema herumtanzen: Jeder Einzelne ist gefordert, jede Einzelne muss ihr eigenes Verhalten reflektieren – und häufig ändern.
Standpunkt: Und die Führungskräfte müssen die neue Fehlerkultur vorleben?
Stefan Lapenat: Ja. Da wir die Fehler nicht aus den Organisationen bringen können, sollten wir zumindest das Drama aus den Fehlern bringen. Und dafür ist jede einzelne Führungskraft verantwortlich. Deshalb müssen Führungskräfte in der Lage sein, eigene Fehler zuzugeben und einen konstruktiven Umgang damit zu finden. Wie sollen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrem Chef von eigenen Fehlern erzählen, wenn der sich unfehlbar gibt? Es sind die Führungskräfte, die eine Fehlerkultur vorleben – so oder so. Das heißt allerdings nicht, dass nur die Führungskräfte gefordert sind: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss dieselbe Offenheit im Umgang mit Fehlern leben.
Standpunkt: Statt mit dem Finger zu zeigen: „Der ist schuld!“?
Stefan Lapenat: Schuld zu suchen und zuzuweisen liegt ebenfalls in der menschlichen Natur, das kriegen wir als Impuls auch nicht aus den Menschen heraus. Deshalb schlage ich immer vor, die Schuldfrage zu verlagern: Schuld ist nicht der Mensch, sondern erst einmal der Prozess. Offenbar sind die Abläufe so, dass Fehler passieren können. Also müssen wir diese Abläufe so verbessern, dass keine Fehler mehr passieren können – oder zumindest weniger.
Wie sollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrem Chef von eigenen Fehlern erzählen, wenn der sich unfehlbar gibt? Es sind die Führungskräfte, die eine Fehlerkultur vorleben – so oder so.
Standpunkt: Wie mache ich es anders: Wie stelle ich die Weichen zu einer besseren Fehlerkultur?
Stefan Lapenat: Wenn ich die Fehlerkultur tatsächlich ändern will, muss ich offen über Fehler und den Umgang damit sprechen. Ich muss Führungskräfte und auch die Teams unterstützen. Es muss erlaubt sein, Geschichten vom Scheitern zu erzählen. Wie sonst kann ich lernen, wie es besser geht? Wenn das wirklich gelebt wird, bekommt die Fehlerkultur einen selbstverstärkenden Drall.
Standpunkt: Die Zeit des Machtworts neigt sich offenbar dem Ende zu …
Stefan Lapenat: Interessant, dass Sie das ansprechen. Ich bin häufig als Keynote Speaker bei sogenannten „Fuck-up-Nights“ von Organisationen eingeladen, in denen Führungskräfte offen über eigene Fehler sprechen. Meinen Vortrag beende ich meist mit der Frage, „Wer hat diese Woche aufgrund von Fehlern schon ein Machtwort gesprochen?“ Meist heben sich zögerlich einige Hände. „Gut so“, sage ich dann, „sagen Sie das gern öfter: ,Macht nichts‘.“
Stefan Lapenat leitet seit 2017 das HRperformance Institut in Freiburg als Geschäftsführer. Der Keynote Speaker, Managementtrainer und Berater für Organisationskultur- und Führungskräfte-Entwicklung begleitet mit seinem Team seit über zwei Jahrzehnten Teams und Organisationen und hat – wie er offen zugibt – auch eine umfangreiche persönliche Expertise im Fehlermachen und Scheitern.