Pharma - dick im Geschäft

Die Pharmabranche wächst weltweit um mehr als 6 Prozent pro Jahr. Ein unerwarteter Treiber dieses Wachstums sind Abnehmspritzen.

Ein Apotheker telefoniert und hält eine Verpackung eines Medikaments in der Hand
Ein Apotheker telefoniert und hält eine Verpackung eines Medikaments in der Hand

Elon Musk schwört darauf. Kim Kardashian und Robbie Williams sind begeistert, ebenso wie tausende weiterer Promis und Nicht-Promis. Sie alle verlieren Gewicht, ohne sich anzustrengen. Es reicht, sich einmal die Woche den Wirkstoff Semaglutid zu spritzen. Der meldet dem Hirn ein Sättigungsgefühl und das entscheidet: „Kein Hunger.“ Schwupps, schmelzen die Kilos. Ohne Diät, ohne Sport, ohne Selbstgeißelung.

Das Magazin „Science“ zeichnete die Abnehmspritze, als Ozempic im Handel, als „wissenschaftlichen Durchbruch“ des Jahres 2023 aus. Der Markt zur Therapie von Übergewicht „ist auf die Überholspur gewechselt“, sagt Dr. Timo Kürschner. Der LBBW Senior Investment Analyst geht davon aus, dass dieser Sektor bis 2028 jährlich um mehr als 20 Prozent wachsen wird, auf weltweit 74 Milliarden Dollar. Er „steigt damit praktisch aus dem Nichts in die Top Ten der wichtigsten therapeutischen Sektoren auf.“

Abnehmspritzen als Lifestyle-Medikament

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen die steigende Nachfrage von Menschen, die Ozempic oder das Schwestermedikament Wegovy nutzen, um weitgehend nebenwirkungslos ein paar Kilo abzunehmen. „Das macht den Markt so riesig“, sagt Kürschner. Als zweiten Grund nennt der LBBW-Analyst die zunehmende Zahl von Adipositaspatientinnen und -patienten. Rund 650 Millionen stark übergewichtige Menschen gibt es weltweit, und es werden ständig mehr. In den USA hat sich ihr Anteil seit 1990 verdoppelt: Mehr als 40 Prozent der US-Amerikaner haben einen BMI (Body-Mass-Index) von 30 oder mehr – das Kriterium für Adipositas –, in Deutschland ist es mittlerweile jeder fünfte.

19 %

aller erwachsenen Deutschen leiden laut Robert-Koch-Institut unter Adipositas.

Gegen Adipositas wird die Abnehmspritze Wegovy ärztlich verschrieben: Sie erlaubt durchschnittlich 15 Prozent Gewichtsverlust in 68 Wochen. Das gilt ebenso für die Abnehmspritze Ozempic, die allerdings einzig übergewichtigen Diabetes-Typ-2-Patienten verschrieben wird. Ozempic wurde ursprünglich als Medikament für Zuckerkranke entwickelt: Der Wirkstoff Semaglutid fördert die Ausschüttung von Insulin und senkt dadurch den Blutzuckerspiegel. Dass Semaglutid parallel dem Hirn „Ich bin satt“ signalisiert, war eigentlich eher eine Nebenwirkung.

Eine sehr lukrative Nebenwirkung. Diabetes- und Adipositaspatienten und -patientinnen haben mittlerweile Schwierigkeiten, an ihre Medikamente zu kommen: Ein zahlungskräftiges Klientel kauft es auf. Eine Monatsdosis Ozempic als Lifestyle-Medikament ohne ärztliche Verschreibung kostet in den USA rund 1.000 Dollar. Auch aufgrund solcher Preise geht LBBW-Analyst Dr. Timo Kürschner davon aus, dass der Umsatz von appetithemmenden Medikamenten wie Semaglutid in den nächsten Jahren verlässlich um rund 25 Prozent steigen wird. Das Wachstum könnte noch stärker ausfallen, sollte es künftig überflüssig werden, sich das Abnehmmittel zu spritzen. „Wenn es einen Wirkstoff als Tablette gibt, der einfach einzunehmen ist, ist dies für Patienten meist attraktiver“, sagt Kürschner. „Genau deshalb wird gerade intensiv daran geforscht.“

Künstliche Intelligenz befeuert medizinischen Fortschritt

Tatsächlich forschen die Pharmakonzerne nicht nur an Adipositasmedikamenten intensiv. Aufgrund der „Innovationsleistung der Industrie“, so LBBW-Analyst Kürschner, hat allein die US-Arzneimittelbehörde FDA im vergangenen Jahr 55 neue Medikamente zugelassen, vor allem in der Onkologie und Immunologie. „Steigender Wohlstand, medizinischer Fortschritt und die Demografie unterstützen den weiterhin intakten Wachstumstrend der Branche“, konstatiert Kürschner.

Dr. Timo Kürschner, Senior Investment Analyst bei LBBW Research

Steigender Wohlstand, medizinischer Fortschritt und die Demografie unterstützen den weiterhin intakten Wachstumstrend der Pharmabranche.

Dr. Timo Kürschner, Senior Investment Analyst bei LBBW Research

Ebenso hilft der Einsatz von künstlicher Intelligenz, kurz KI. So könnte die KI beispielsweise bei Krebspatienten helfen, genauer zu bestimmen, was für spezifische Eigenschaften ein Tumor hat. Dieses Wissen erlaubt es, Wirkstoffe zielgenauer auszusuchen und zu dosieren. „Es geht in die Richtung, ein Medikament individuell für eine bestimmte Person herzustellen“, sagt Kürschner, „doch je weniger Patienten, desto höhere Kosten.“

Aufgrund der steigenden Kosten für neu entwickelte Medikamente werden Kranke in Entwicklungs- und Schwellenländern weiterhin vor allem auf billigere Generika angewiesen sein. Teure Neuentwicklungen kommen zuerst vor allem den Menschen in den Industrieländern zugute, zeigen die Daten des Pharmamarktforschungsinstituts IQVIA. Die größten Wachstumsmärkte sieht IQVIA allerdings in China und Indien.

Forschungsstandort Deutschland in Gefahr?

Angelehnt an die IQVIA-Daten sieht LBBW Senior Investment Analyst Dr. Timo Kürschner einen weltweit stark wachsendenden Pharmamarkt. Mit Arzneimittelausgaben von 2,25 Billionen Dollar, wie sie für das Jahr 2028 prognostiziert werden, hätten sich die Ausgaben innerhalb von zehn Jahren ungefähr verdoppelt. „Wachstumstreiber sind neue Medikamente aus den gut gefüllten Pipelines der Pharmaunternehmen“, sagt Kürschner.

Leicht skeptisch ist LBBW-Analyst Kürschner hingegen, was die Zukunft der deutschen Pharmabranche angeht. An deren Innovationskraft zweifelt er keineswegs, doch könnte eine geplante Gesetzesnovelle das Forschen erschweren oder sogar unmöglich machen. Der im Februar bekannt gewordene Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz sieht mindestens sechs Monate und maximal fünf Jahre Gefängnis für Menschen vor, die eine große Zahl von Wirbeltieren töten oder ihnen Schmerzen zufügen. Das würde wohl auch (vor allem genetisch veränderte) Labormäuse betreffen, mit deren Hilfe beispielsweise neue Therapien für Krebserkrankungen entwickelt werden. „Die Zahl der Tierversuche sinkt seit Jahren verlässlich. Aber komplett auf sie zu verzichten, ist derzeit unmöglich“, sagt Timo Kürschner. „Wenn das Gesetz so umgesetzt wird, wandert diese Expertise aus Deutschland ab – niemand will für seine Forschung ins Gefängnis gehen.“